Samstag, 25. Oktober 2014

Kampfname „Hermann Hell“

Udo Albrecht, rechte Schlüsselfigur in der BRD, plante in den 1970er Jahren mit österreichischen Neonazis die Ermordung Simon Wiesenthals – und den Schulterschluss mit palästinensischen Terroristen.

Der Mann mit dem blassen Gesicht und der auffällig hohen Stirn war kein gewöhnlicher Häftling. Es handle sich um einen „kriminell mehrfach vorbestraften Menschen, mit gefährlicher, nicht durchschaubarer, radikaler, nationalistischer Einstellung und Überzeugung“, notierte ein Beamter nach dem Verhör. Wenig später wurde der Gefangene in den Hochsicherheitstrakt der Strafanstalt Stein verlegt. Es hieß, palästinensische Terroristen würden seine Befreiung vorbereiten. Wer war der Deutsche, der die österreichischen Sicherheitsbehörden Anfang der 1970er Jahre in nervöse Unruhe versetzte? Auf Basis neuer Dokumente aus dem Wiener Staatsarchiv und von der Stasi-Behörde wird die abenteuerliche Geschichte des deutschen Neonazis Udo Albrecht und seiner Terrorverbindungen nach Österreich erstmals rekonstruiert.

Albrecht, 1940 in Ostdeutschland geboren und später in den Westen geflohen, war seit seinem 16. Lebensjahr in kriminelle Machenschaften verstrickt: Diebstahl, Bankraub und Waffenhandel. Gefängnismauern hielten ihn nie zurück – insgesamt sieben Mal brach Albrecht aus diversen Anstalten aus. Willi Voss, ein früher  Mitstreiter, der sich später vom Rechtsextremismus lossagte, charakterisierte den schillernden Desperado so: „Was Albrecht kennzeichnete, war sein starres Denken und Beharren auf einmal gemachte Aussagen. Auch sein extrem ausgebildetes Geltungsbedürfnis, das jedoch leicht mit fundierter Kritik erschüttert werden konnte.“

Offizier im PLO-Geheimdienst
Der Schwerkriminelle war darüber hinaus ein radikaler Neonazi, der eine Vision verfolgte: An der Seite der Palästinenser den Kampf gegen den „Zionismus“ und Israel zu führen. Es blieb nicht bei Tagräumereien. Schon seit Mitte der 1960er Jahre versuchte Albrecht Freiwillige für ein „Hilfscorps Arabien“ zu rekrutieren. 1970 ging er dann für fünf Monate nach Beirut, wo ihn die PLO mit offenen Armen aufnahm. Unter dem Kampfnahmen „Hermann Hell“ wurde Albrecht Offizier im PLO-Geheimdienst. Ein Foto, das er stolz in österreichischer Haft vorwies, zeigte ihn auf einem eroberten Panzer. Der Deutsche war mitten in die Wirren des „schwarzen September“ geraten, die in der Vertreibung der PLO aus Jordanien gipfelten. Auch danach übernahm Albrecht immer wieder „Jobs“ für die Palästinenser, so etwa die Vorbereitung von Anschlägen in Europa.

Albrecht steht wie kein anderer steht Albrecht für die auf den ersten Blick bizarr anmutende Achse zwischen Rechtsradikalen und palästinensischen Terroristen. Doch so unterschiedlich die ideologischen Zugänge sein mochten, Antisemitismus einte die ungleichen Partner. Albrecht sei der Auffassung, „dass der Zionismus der ‚Weltfeind Nummer eins’ sei und gewaltsam bekämpft werden müsse.“ Ausgehend davon habe er sich entschlossen, „Verbindungen zu verschiedenen gegen Israel tätigen Kräften in arabischen Ländern aufzunehmen.“ Das war die Einschätzung der DDR-Staatssicherheit, die Albrecht nach seiner Flucht 1981 hinter den Eisernen Vorhang ausführlich verhörte.

1971 in Österreich inhaftiert und nach Drohungen freigelassen
Gegenüber der Stasi gab Albrecht auch an, wie es ihn in eine österreichische Gefängniszelle verschlagen hatte: Im Dezember 1970 hatte er im Auftrag der „El Fatah“, Jassir Arafats eigener Gruppe im Rahmen der PLO, Sprengstoff nach Zürich geschmuggelt. Dieser sollte für ein Attentat auf die israelische Botschaft verwendet werden. Noch in einem Züricher Hotel erfolgte die Festnahme, doch bereits vier Wochen später gelang Albrecht die Flucht. Er passierte die österreichische Grenze bei Hohenems und versuchte sich weiter durchzuschlagen. Am 8. Februar 1971 wurde Albrecht nach einem PKW-Diebstahl und einem Tankstelleneinbruch in Pressbaum bei Wien verhaftet. Man verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft. Um der Auslieferung an die BRD zu entgehen, stellte Albrecht einen Asylantrag, der freilich abgelehnt wurde. Den Bekundungen des Häftlings wurde kein Glauben geschenkt – vielmehr könne gesagt werden, „dass Udo Albrecht mit allen Mitteln versucht, seinem kriminellen Vorleben einen politischen Anstrich zu verleihen“. Darüber hinaus sei Albrecht gefährlich, weil er das bestehende Regierungssystem mit Gewalt ändern wolle. Zu diesem Zweck habe er vor außerhalb Deutschlands „eine Organisation, die durch Sprengungen und andere Gewaltakte die Öffentlichkeit auf sich lenkt, aufbauen“.

Da schlug plötzlich auch noch Interpol Alarm: Aus Wiesbaden kam die Meldung, „dass Albrecht Verbindungen zur Terrororganisation ‚El Fatah’ hat und von Mitglieder dieser Organisation aus der Haft befreit werden soll“. Daraufhin wurde Albrecht am 1. August 1972 von Garsten nach Stein überstellt. Die Haftbedingungen wurden erheblich verschärft, sodass er selbst ein halbes Jahr nicht wusste, wo er sich eigentlich befand. Währenddessen schritten die Befreiungspläne voran. Albrechts gute Verbindungen nach Beirut machten sich jetzt bezahlt. Abu Daoud, Spitzenmann des PLO-Geheimdienstes für internationale Einsätze, traf sich mit Willi Voss, in einem Dortmunder Hotel. Angesprochen auf Albrechts missliche Lage, lächelte Daoud „sybillinisch“ und verwies auf die nahe Zukunft, „die die Lösung auch für dieses Problem bringen würde“. Daoud befand sich damals noch aus einem anderen Grund in Deutschland: Er bereitete den Anschlag auf die Olympischen Spiele in München vor. Voss, der Daoud als Fahrer diente und logistisch unterstützte, vergaß darüber nicht auf Albrecht. Als dieser verlegt wurde, war klar, dass eine Befreiung nur „von außen“ erfolgen konnte: „Das ließ sich aber nur machen, wenn an Ort und Stelle die Bedingungen recherchiert wurden.“ Anfang August 1972 legte Voss dem PLO-Geheimdienstchef Abu Iyad den entsprechenden Plan vor: „Ich bat ihn, mir die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Er willigt ein.“

Wie Albrecht später erfuhr, waren diese Absprachen „unter nicht bekannten Umständen“ verraten worden. Zumindest mit der Haft in Stein war es vorbei – die österreichischen Behörden, so Albrecht später gegenüber der Stasi, wollten ihn nach den Drohungen „so schnell wie möglich loszuwerden“. An die BRD ausgeliefert, gelang Albert aber schon 1974 die Flucht.

Geplantes Attentat auf Simon Wiesenthal
Während dieser Zeit unterhielt Albrecht Verbindungen zu Rechtsextremisten in ganz Europa – so auch nach Österreich. Ein wichtiger Grund hierfür war, wie Albrecht selbst der Stasi erzählte, dass ein Anschlag auf „Nazijäger“ Simon Wiesenthal geplant wurde. Dies habe seinen Vorstellungen über „einen weltweiten antizionistischen Kampf“ entsprochen. Albrecht traf sich 1976 in Wien mehrmals mit Norbert Burger, Schlüsselfigur der österreichischen Rechten und Gründer der Nationaldemokratischen Partei (NDP). Dieser brachte Albrecht mit dem Leiter einer Wehrsportgruppe bekannt. Weil sich diese konspirativ verhielt, erfuhr Albrecht weder den Namen des Manns noch den seiner Einheit. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es sich bei letzterer um die „Kameradschaft Babenberg“ handelte, die mit Burgers NDP eng verbunden war. Vor der behördlichen Auflösung 1980 führte die Neonazitruppe bei Rapottenstein paramilitärische Übungen durch – die als „knallharte Freizeitbeschäftigung“ verharmlost wurden. Die „Babenberger“, zu denen damals auch ein junger Gottfried Küssel zählte, forderten die „nationale Revolution“ und trainierten für eine Zukunft, „die zeigen wird, wer der Stärkere ist“.

Albrecht und seine Kontaktleute vereinbarten, „dass er in Österreich eine Gruppe zusammenstellt, die geschlossen auf Seiten der PLO gegen Israel kämpfen soll“. Der Deutsche übergab einen Maschinenpistole, mehrere Pistolen, „eine oder mehrere amerikanische Handgranaten“ sowie eine Anzahl von Passvordrucken. Waffen und Dokumente wurden anschließend in der Nähe des Ortes Kirchberg am Wechsel, wo Burger damals wohnte, versteckt: „Der Leiter der österreichischen Gruppe wurde von mir aufgefordert, zu Dr. Burger zu kommen, und ich zeigte ihm dann die Stelle, an der die Waffen und Dokumente von uns vergraben worden waren.“

Wie Albrecht von Burger und dem anderen Neonazis erfuhr, waren bereits „konkrete Vorbereitungen und Erkundungen“ für ein Attentat auf Wiesenthal durchgeführt worden. Albrecht war jedenfalls bereit für diesen Fall die Waffen zur Verfügung zu stellen und auf sie in der Folgezeit zu verzichten. Aus dem geplanten Einsatz der österreichischen Gruppe im Libanon wurde zu Albrechts Bedauern nichts: Noch 1976 wurde er wieder einmal verhaftet und erst drei Jahre später entlassen. In der Folgezeit unterhielt er keine Verbindung mehr zu den Österreichern.

Simon Wiesenthal dagegen geriet sehr wohl ins Fadenkreuz der Rechtsextremisten: Am 11. Juni 1982 explodierte ein mit Schwarzpulver gefüllter Druckkochtopf vor seiner Wohnung in Wien-Döbling. Es entstand beträchtlicher Sachschaden, aber niemand wurde verletzt. Als Attentäter wurde der westdeutsche Rechtsextremist Ekkehard Weil angeklagt, der schon 1975 im Auftrag Albrechts ausrangierte Bundeswehr-Lkws an die PLO geliefert hatte. Weil wurde 1983 wegen anderer Anschläge gegen Schöps-Filialen in Salzburg und Wien zu drei Jahren verurteilt.

Albrecht wiederum lenkte 1980 seine krummen Nahostgeschäfte in neue Bahnen: Um den weiteren Verkauf ausgemusterter Militärfahrzeugen an die PLO zu organisieren, gründete in Beirut die Firma „Special Car Service“. Dafür brachte er auch die berüchtigte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ mit den Palästinensern zusammen. Die rechtsextremistische Vereinigung steht bis heute im Verdacht, die Bombe auf dem Münchner Oktoberfest gelegt zu haben. Nachdem Karl-Heinz Hoffmann und seinen Gefährten der Boden in der BRD zu „heiß“ geworden war, setzten sie sich ganz in den Libanon ab. Doch aus den Geschäften wurden nichts – Albrecht hatte sich rasch mit Hoffmann überworfen und das Nahost-Abenteuer der Wehrsportgruppe endete im Desaster: Es kam zu grausamen Folterungen und einem Fememord, viele Mitglieder desertierten. Hoffmann selbst wurde 1981 auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet.

Im Nahen Osten untergetaucht
Albrecht wiederum saß schon seit 1980 wieder in deutscher Haft – wegen einer Reihe von Banküberfällen. Am 29. Juli 1981 schaffte er sein letztes Glanzstück als Ausbrecher – während eines Lokalaugenscheins an der innerdeutschen Grenze, wo er ein Waffenversteck benennen sollte, lief Albrecht ganz einfach über die Staatsgrenze. Die DDR-Grenzer stoppten die Verfolger und eskortierten den Flüchtling durch ein Loch im Zaun. Die Stasi schöpfte soviel Information wie möglich über die rechte Szene ab und ließ sich von den palästinensischen Verbündeten Angaben bestätigen. Am 8. August 1981 übergab man Albrecht zwei Vertretern des PLO-Geheimdienstes. Mit einem libyschen Reisepass ausgestattet flog dieser anschließend „ohne Zwischenfälle“ nach Damaskus. Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Udo Albrechts Spuren haben sich im Nahen Osten verwischt.