Donnerstag, 11. September 2014

„Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen“

Der Bürgerkrieg und der Zerfall der staatlichen Ordnung in Libyen ist ein aktueller Anlass, sich ein bemerkenswertes Kapitel österreichischer Außen- und Wirtschaftspolitik in Erinnerung zu rufen. In den 1970er und 1980er Jahren knüpfte Bundeskanzler Bruno Kreisky enge Kontakte zum 2011 gestürzten Machthaber Muammar al-Gaddafi – um dadurch Sicherheit vor Terrorismus zu schaffen und um die Interessen der heimischen Wirtschaft zu bedienen. Neue Einblicke liefern die Tagebuchaufzeichnungen von Handels- und Industrieminister Josef Staribacher, der 2014 verstorben ist.

Der „Pate“ des Terrors
Muammar al-Gaddafi galt seit Anfang der 1970er Jahre als „Pate“ des internationalen Terrorismus: Neben Guerillabewegungen in Niger und Mali und islamischen Aufständischen auf den Philippinen unterstützte er auch die terroristische nordirische IRA, palästinensische Gruppen und die Japanische Rote Armee. Schon 1975 fasste der österreichische Botschafter in Tripolis seinen persönlichen Eindruck vom Revolutionsführer auf pointierte Weise so zusammen: „Gaddafi ist weder ein Operettenoberst noch ein finster brütender Dr. Mabuse. Intelligenz (die nicht im Widerspruch steht zu einer möglichen Geisteskrankheit), mangelndes Wissen, persönliche Ausstrahlung, fanatisches Sendungsbewusstsein, Dollarmilliarden zu seiner nahezu unumschränkten Verfügung und Ambitionen, die viel zu groß sind für Libyen, machen ihn zu einer ernst zu nehmenden Gefahr.“

Der Versuch, Gaddafi zu mäßigen
Als Bruno Kreisky Gaddafi im Rahmen seiner Fact-Finding-Mission für die Sozialistische Internationale (SI) 1975 zum ersten Mal traf, kritisierte dieser die jüdische Emigration aus der Sowjetunion nach Israel – und warnte indirekt auch Länder wie Österreich, die diesen Prozess als Durchgangsstation ermöglichten: „Jeder, der die Immigration zulässt oder Waffen liefert, nimmt am Krieg gegen die Palästinenser teil und ist ein Kriegsverbrecher.“ Kreisky war sich daher der Gefahr, die von Libyen auch für Österreich ausging, nur allzu bewusst. „Das Interesse Kreiskys an Gaddafis Politik bestand darin, dass dieser auf radikale Kreise im arabischen Raum und in Europa einen großen Einfluss hatte“, erinnert sich der langjährige Innenminister Erwin Lanc und fügt hinzu: „Nach unseren Informationen war Libyen zeitweise für diese Leute eine Ausbildungsstätte. Daher war Gaddafi auch ein Hort der Bedrohung.“

Im Falle der Wiener OPEC-Geiselnahme Ende 1975 war der Verdacht, die Täter hätten von Libyen Unterstützung erhalten, von Anfang an stark. Aber Kreisky blieb bei seiner Überzeugung, „weder Gaddafi, noch irgendein ein anderer Libyer hatte bei dem OPEC-Anschlag die Hand im Spiel“. Auch während der 1980er Jahre sollte Kreisky Gaddafi gegen entsprechende Terror-Vorwürfe seitens der USA in Schutz nehmen. Die hartnäckige Weigerung, an eine libysche Beteiligung zu glauben, hing mit dem persönlichen Vertrauensverhältnis zusammen, das sich zwischen den beiden Politikern über viele Jahre hin aufgebaut hatte.

Kreisky versprach sich viel davon, Gaddafi von seinem radikalen politischen Weg abzubringen, zu mäßigen und damit auch präventiv für Österreichs Sicherheit zu sorgen. In einem vertraulichen Schreiben teilte Kreisky seinem westdeutschen Amtskollegen Helmut Schmidt mit: „Ich glaube, dass Gaddafi aus seiner eigenen Situation heraus bemüht ist, seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Libyens dürften diesen Wunsch dringlicher erscheinen lassen, seine Verwirklichung aber auch erschweren. Es wird für Gaddafi sicher nicht leicht sein, sein bisheriges Image im Westen als Schutzpatron so gut wie jeder terroristischen Bewegung zu ändern. Dennoch glaube ich, dass es im wohlverstandenen Interesse des gesamten Westens sein müsste, den Annäherungsversuch Gaddafis nicht von vornherein zurückzuweisen.“

Handelspartner Libyen
Neben der politischen Komponente und Sicherheitsüberlegungen kam  hinzu, dass Libyen für die exportabhängige österreichische Wirtschaft einen interessanten Handelspartner darstellte – für den verstaatlichten Stahlkonzern VOEST, genauso wie für viele andere kleine und mittlere Unternehmen. Gefolgt von Ägypten und Algerien war Libyen 1982 der wichtigste Handelspartner Österreichs in Nordafrika: Sowohl Ausfuhren nach Libyen, als auch die Einfuhren aus Libyen hatten sich zwischen 1977 und 1981 nahezu verdreifacht: Von 851 Millionen (1977) auf mehr als zwei Milliarden Schilling (1981). Allerdings bestand ein beträchtliches Außenhandelsdefizit. Denn während Österreich Maschinen aller Art, Straßenfahrzeuge, Möbel, Schlachtvieh, Schnittholz, Papier, Textilien, medizinische Erzeugnisse und Frischgemüse lieferte, bestand die Einfuhr aus Libyen fast ausschließlich aus Rohöl. Erschwerend hinzukam, dass dieses Produkt zu einem Zeitpunkt als der Erdölpreis allgemein stark zurückging, zu einem erhöhten Preis gekauft werden musste.

Wie diese Wirtschafts-Kooperation eingefädelt wurde und „hinter den Kulissen“ lief, darüber geben Tagebuchaufzeichnungen von Handels- und Industrieminister Josef Staribacher Auskunft. Dieser war federführend beteiligt, als im April 1975 bei einem Besuch von Gaddafis Stellvertreter Abd al-Salam Jalloud die ersten Weichen gestellt wurden. Das war alles anderes als einfach und lieferte einen Vorgeschmack auf spätere Probleme. So vermerkte Staribacher am 20. April 1975: „Jalloud möchte natürlich unter allen Umständen, wenn er von Österreich wegfährt, konkrete Ergebnisse mitbringen. Das einzige, was tatsächlich vorbereitet ist, ist der Kooperationsvertrag resp. Handelsvertrag. Hier kann Kreisky und Jalloud ihn unterzeichnen, obwohl an und für sich die Kompetenz eindeutig beim Handelsministerium und daher bei mir liegen würde. […] Wie aber konkrete Geschäfte in dieser kurzen Zeit abgeschlossen werden konnten, ja sogar konkreter vorbereitet werden könnten, ist mir ein Rätsel. Hier werde ich mich selbst überraschen lassen. Der Außenhandelsstellenleiter, der bei der ganzen Fahrt und überall dabei war, was ich sehr begrüßte, hat mir gesagt, dass in Tripolis eine irrsinnige harte Konkurrenz ist. Die Libyer sind nicht bereit, irgendwelche finanziellen Zusagen zu machen oder gar wirkliche Geschäfte abzuschließen, die sie irgend anderswo billiger und günstiger kriegen können. Natürlich interessiert sich Jalloud für alles Mögliche. Natürlich haben ihn die Panzerfahrzeuge ganz gut gefallen [für Jalloud wurde eigens eine Vorführung von Steyr-Daimler-Puch-Erzeugnissen in der Heereskraftfahrschule in Baden organisiert] und er meinte nur, es müssten stärke Panzer gemacht werden. Wenn es aber zur konkreten Diskussion über die Preise kommen wird, bin ich überzeugt, wird es ungeheuer schwierig sein, wirklich ein konkretes Geschäft zustande zu bringen.“

Tags darauf kam Jalloud bei der offiziellen Sitzung mit Kreisky dann doch auf  konkrete Lieferwünsche zu sprechen: „Außerdem möchte er sehr konkrete Importanträge über die Menge und den Preis von uns haben. Allerdings interessiert er sich nur für Produkte, die am Weltmarkt knapp sind und er sicherlich nicht bereit ist, höhere Preise zu bezahlen. Das Ergebnis ist dann aber letzten Endes doch das in unser Protokoll nur aufgenommen wird, die einzelnen Wünsche. […] Die Methode Kreiskys große Pläne zu entwickeln und sie nur anzudeuten und die konkrete Durchführung aber nicht in Angriff zu nehmen, sondern einem anderen zu übertragen, akzeptiere ich nicht.“

„Wirtschaftlich interessant, ansonsten muss man nicht dort gewesen sein“
Von 22. bis 24. Oktober 1976 war Staribacher in Tripolis, wo die im Jahr zuvor vereinbarte „Gemischte österreichisch-libysch-arabische Kommission“ nach monatelangen Verzögerungen ihre erste Tagung abhielt. In diesem Gremium sollte der gesamte Bereich der Wirtschaftsbeziehungen besprochen werden. Tatsächlich trat es nie in der vollen Besetzung zusammen. Dafür wurde gehörig gefeilscht. Dazu Staribacher: „Ich bin überzeugt, dass es in Libyen große Entwicklungsmöglichkeiten gibt, dass aber manche Bedingungen für unsere Firmen wirklich fast unakzeptabel sind. Der Viehexport, die 26.000 Stück, mussten bis jetzt mit 150 Mio. Schilling plus der Stützung der einzelnen Bundesländer verbilligt werden. Ich versuchte der libyschen Seite klarzumachen, dass wir nicht den Preis noch weiter senken können.“ Von der VOEST wollten die Libyer für einen aus österreichischer Sicht schon „ungünstigen“ Einstandspreis eines Liefervertrags nochmals eine Subvention von 30 Prozent herausholen. Von den Gegebenheiten in Libyen zeigte sich der Handelsminister mäßig begeistert: „Die Verpflegung war für afrikanische Verhältnisse wahrscheinlich gut, für unsere äußerst primitiv.“ Auch das Nachtleben bot keine wirkliche Zerstreuung: Zum Abendessen im Restaurant trat eine irakische Sängerin auf, die „bis oben hin bekleidet“ war und dazu „schreckliche Tanzrhythmen und [eine] noch schrecklichere laute Stimme“ darbot. Staribachers trockenes Fazit über Libyen: „Wirtschaftlich für uns ein interessantes Land, ansonsten aber kann ich nur sagen, muss man wahrlich nicht dort gewesen sein.“

„Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen
In einem Eintrag vom 23. November 1977 beschreibt Staribacher das Beispiel eines Bauunternehmens aus Mistelbach, das in der libyschen Wüste 14 Silos mit einem Bauvolumen von 50 Millionen Schilling hochzog: „Der Wirtschaftsprüfer dieser Firma, H., ehemaliger Rechnungshofbeamter, und K., erzählten mir, wie sie zu diesem Geschäft gekommen sind und wie sie ihre Geschäftsverbindungen da unten pflegen. 8 % Provision auf ein Schweizer Konto zu überweisen, natürlich alles strengst vertraulich, ständige Pflege der Gäste, wenn sie nach Österreich kommen, trotz der Bauverzögerung und Schwierigkeiten bei Abwicklung der bankmäßigen Bezahlung, die Akkreditive werden von der CA [Creditanstalt] nicht als lupenrein bezeichnet, noch immer ein Gewinn von 10 %, also in Wirklichkeit traumhaft für das Baugewerbe. Mit Diktaturen lassen sich eben leichter Geschäfte machen. Allerdings kann es dann aus irgendwelchen Gründen wesentlich schneller wieder aus sein und man kann natürlich auch hängen bleiben.“

„Saßen einander wie zwei Bankroteure gegenüber“
Den größten „Brocken“ heimste aber die VOEST ein: Gemeinsam mit deutsche Großanlagenbauern erhielt es 1981 den Auftrag zur Errichtung eines Hüttenwerkskomplexes in Misurata. 16 Milliarden Schilling entfielen auf den Liefer- und Leistungsanteil der VOEST. Letztendlich hinterließ der Bau des Stahlwerkes aber ein sattes Minus im Geschäftsergebnis. Ähnlich erging es der OMV, die sich 1985 mit 25 Prozent an der staatlichen libyschen Erdölgesellschaft Oxylibya beteiligt hatte. Im Rahmen der 1,7 Milliarden Schilling schweren Beteiligung wurden 600.000 Tonnen Rohöl im Jahr eingefahren, was zum amtlich festgesetzten Preis abgenommen werden musste. Nach dem Absacken des Erdölpreises wurde aus dem Engagement ein finanzielles Debakel. Der mit dem Ölpreisverfall verbundene Devisenmangel bedeutete das Ende für den Investitionsboom in Libyen.

Daran änderte auch der kurzfristig angesetzte Staatsbesuch Gaddafis in Wien vom 10. bis 13. März 1982 nichts mehr. Kreisky, der damals den Zenit seiner Macht bereits überschritten hatte und außerdem unter einem sich verschlechternden Gesundheitszustand litt, konnte durch diesen ersten Besuch Gaddafis in einem westlichen Land noch einmal an die „große Zeit“ von Wien als „Begegnungsort“ anschließen. Eingefädelt hatte die heftig umstrittene Visite VOEST-Generaldirektor Heribert Apfalter. Aber alle Erwartungen hinsichtlich von „Milliardengeschäften“ wurden enttäuscht. „Wir saßen einander wie zwei Bankrotteure gegenüber, von denen jeder den anderen als Multimillionär sieht“, kennzeichnete ein österreichischer Teilnehmer die Wirtschaftsverhandlungen, „die eigentlich gar nicht richtig in Schwung kamen“.

Verwicklung in den Noricum-Skandal
In den Medien war über den möglichen Abschluss eines Waffengeschäfts spekuliert worden. Am 20. November 1984 wurde dann tatsächlich der größte Rüstungsdeal in der Geschichte der VOEST mit Libyen vereinbart. Für geschätzte 10 Milliarden Schilling (ca. 700 Millionen Euro) kaufte die libysche Seite 200 „Noricum“-Haubitzen und eine Million Granaten. Tatsächlich handelte es sich dabei nur um ein Scheingeschäft: Die Lieferungen gingen illegal in den Iran und Libyen stellte dafür falsche Endabnehmerbescheinigungen zur Verfügung. Worin genau Gaddafis Rolle im sogenannten „Noricum“-Skandal bestanden hatte, wurde aber nie wirklich aufgeklärt.

Förderung des Terrors erst spät eingestellt
Ungeachtet der Tatsache, dass Kreisky von Gaddafi in Wien auch gebeten worden war, zwischen Libyen und den USA zu vermitteln, eskalierten die Spannungen in den Jahren 1981-1986 bis hin zu mehreren militärischen Konfrontationen. Allein schon aus diesem Grund stellte Gaddafi seine Förderung von terroristischen Gruppen nicht ein. Ab 1984/85 beherbergte er zudem die Gruppe des PLO-Abweichlers Abu Nidal, die in den 1980er Jahren mehrfach österreichische Ziele angriff. Wenige Wochen vor dem letzten Anschlag auf den Flughafen Schwechat (1985) schickte der damalige Alt-Bundeskanzler einen Emissär zu Gaddafi, um die sich bereits abzeichnende Aktion Abu Nidals quasi im letzten Augenblick noch zu verhindern. Obwohl Gaddafi zusagte, hier entsprechend aktiv zu werden, kam es wenige Tage später zum Überfall auf den El-Al-Terminal, der drei Todesopfer forderte. Angeblich waren die Terroristen nicht mehr erreichbar gewesen. 

An die Wandlungsfähigkeit Gaddafis hatte damals nicht nur Kreisky geglaubt: Beispielsweise besuchten Ende der 1970er Jahre auch zahlreiche westdeutsche Politiker wie Innenminister Baum und Außenminister Hans-Dietrich Genscher Libyen. Einerseits wollte man sich der libyschen Öllieferungen versichern. Andererseits wurde der Kontakt genutzt, um eine „Terrorschonzeit“ zu verabreden. Nachdem Gaddafi nach 2001 im internationalen Antiterrorkampf kooperierte und finanzielle Entschädigungszahlungen für die Opfer der von Libyen gesponserten Terrorakte in den 1980er Jahren leistete, gelang es ihm, die jahrzehntelange internationale Isolation aufzubrechen. Ab 2004 wurde er wieder als Handelspartner von zahlreichen westlichen Staatschefs hofiert – bis sein Regime im Zuge des „arabischen Frühlings“ 2011 unterging.