Sonntag, 11. Januar 2015

„Als Kulturmensch lehne ich im Übrigen Gewalttaten ab“: Fritz Molden und der Befreiungsausschuss Südtirol

Vor einem Jahr, am 11. Jänner 2014, verstarb Fritz Molden 90jährig. Der ehemalige Widerstandskämpfer und Sekretär von Außenminister Karl Gruber war auf dem Höhepunkt seiner Karriere nicht nur der einflussreichste Verleger Österreichs („Die Presse“, „Die Wochen-Presse“, „Abend-Presse“, „Express“), sondern auch tief in den Kampf für Selbstbestimmung in Südtirol involviert. Erst nach seinem Tod wurden Vernehmungsprotokolle der Staatspolizei mit Molden von 1961 für die Forschung zugänglich. Hier werden diese erstmals vorgestellt.

Letzte Ruhestätte von Fritz Molden am Wiener Zentralfriedhof (Foto: Autor)
Molden unterhielt von Beginn an enge Kontakte zum Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), einer Untergrundorganisation, die Mitte der 1950er Jahre gegründet worden war. Bis zum Frühjahr 1959 entstand in Nordtirol eine eigene BAS-Gruppe, der neben Molden der Ex-Widerstandskämpfer Wolfgang Pfaundler, Gerd Bacher (damals Chefredakteur von „Express“), der Innsbrucker Kaufmann Kurt Welser und der Reiseschriftsteller Heinrich Klier angehörten.

Molden sorgte nicht nur für mediale Unterstützung, sondern war auch einer der wichtigsten Finanziers. Wie aus staatspolizeilichen Protokollen hervorgeht, erklärte Molden 1959 bei einer Besprechung dem BAS-Gründer Sepp Kerschbaumer, „dass er an der Sache Südtirols großen Anteil nehme und dass ein Teil des zur Verfügung gestellten Geldes von ihm stamme. Er erklärte Kerschbaumer, dass er die Absicht habe, als Journalist für die Sache Südtirols entsprechend einzutreten. Dazu sei es jedoch erforderlich, dass er über die Verhältnisse ziemlich genau informiert werde. Auf die Frage Kerschbaumers, ob man den Familien von Südtirolern helfen werde, wenn sich die Männer in Haft befinden, erklärte Molden dass dies sicherlich der Fall sein werde. […] Pfaundler hat Kerschbaumer bei diesem Besuch einen Betrag von 100.000 Lire übergeben.“

Vorbild Zypern
Der Südtirolkonflikt fiel damals in die Zeit der Entkolonialisierung: Bereits in den 1940er Jahren hatten jüdische Gruppen einen erfolgreichen Kampf gegen die britische Mandatsverwaltung in Palästina geführt. 1954 entzündete sich der Algerienkrieg, der sich bis 1962 hinziehen sollte und in einem Sieg der Nationalen Befreiungsfront (FLN) endete. Die größte Wirkung auf den BAS übte aber das Beispiel Zypern aus: Zwischen 1955 und 1959 erkämpfte die „Nationale Organisation zyprischer Kämpfer“ (EOKA) unter General Georgios Grivas das Ende der britischen Kolonialherrschaft auf der Mittelmeerinsel. Das Modell Zypern wurde innerhalb des BAS vor allem von Molden beworben. Der Verleger hatte 1958 an einer Journalistenreise nach Zypern teilgenommen und dort miterlebt, „wie sowohl die zypriotischen Freiheitskämpfer, aber noch viel brutaler die britische Armee, ihren Kolonial- oder Befreiungskrieg führten, […].“ Im „Spiegel“ erschien am 21. Dezember 1960 eine vielbeachtete Reportage, die Molden gar zum heimlichen Anführer der Südtirol-Aktivisten stilisierte. Seit Winter 1958, schrieb die Korrespondentin Inge Cyrus, habe sich Molden insgeheim bemüht, „für den künftigen Partisanenkrieg südlich des Brenners nach dem Vorbild der erfolgreichen zyprischen Untergrundbewegung Eoka des griechischen Obersten Grivas – eine kleine schlagkräftige Truppe zu rekrutieren. Sie sollte für den ‚Tag X’ bereitstehen und die Rückkehr Südtirols zu Österreich beschleunigen, falls einmal alle Möglichkeiten einer friedlichen Einigung mit Italien erschöpft wären.“ Auch wenn Molden dementierte, in Südtirol wurde der Artikel als Signal zum baldigen Handeln aufgefasst - ein BAS-Mann erzählte später: "Wir sind wirklich erschrocken, und haben uns gesagt, wenn die da draußen schon so viel reden, dann müssen wir losschlagen, bevor man uns verhaftet und wir überhaupt nichts getan haben. Sicher war der Spiegel-Artikel entscheidend dafür, dass wir anfingen loszuschlagen."

„1,000.000 Schilling zur Verfügung gestellt“
Kernstück der nach dem Vorbild Zypern ausgelegten Strategie war es, mediale Aufmerksamkeit auf das Südtirolproblem zu lenken. Kleinere Sprengstoffanschläge, so wie es sie in Südtirol seit den 1940er Jahren immer wieder sporadisch gegeben hatte, erschienen in diesem Zusammenhang als zu wenig spektakulär. Der Südtiroler „Schützenmajor“ Georg Klotz und Wolfgang Pfaundler schwebte die Bildung von kleinen Kampfeinheiten vor, die einen regelrechten Guerillakrieg führen sollten. Das man zu dieser Eskalation bereit war, geht wiederum aus Berichten der Staatspolizei hervor. Demnach wurden Klotz und Pfaundler am 27. Jänner 1960 nach einer Vorsprache bei Außenminister Bruno Kreisky auch bei Molden vorstellig. Bei dieser Gelegenheit zeigte Pfaundler eine Maschinenpistole vor: „Er erklärte, dass er derartige Waffen bereits in der Umgebung von Wien lagernd habe. Sie seien für die Südtiroler angekauft worden. Weiters sei es Pfaundler gelungen, eine größere Menge Zeitzünder in Griechenland zu kaufen. Fritz Molden versicherte Klotz dazu, dass er mit allem einverstanden sei und dass er zur Finanzierung der Südtirolangelegenheit bereits 1,000.000 Schilling zur Verfügung gestellt habe.“

Der Südtiroler BAS konnte bis auf wenige Ausnahmen mit diesen Planspielen wenig anfangen. Der überzeugte Katholik Kerschbaumer lehnte die Steigerung auf ein Gewaltniveau, das Menschenleben gefährden konnte, ab. Außerdem wollte er keine italienische Überreaktion provozieren und plädierte daher für eine Taktik der „Nadelstiche“, die er auch erfolgreich durchsetzen konnte. Nun rückte die Frage, wann genau der BAS auf diese Weise losschlagen sollte, in den Mittelpunkt. Am 25. Juli 1960 fand eine diesbezügliche Besprechung des Führungsgremiums des BAS, darunter Klotz, Amplatz, Pfaundler und Molden statt: „Die Südtiroler wurden aufgefordert sich auf ein Losschlagen im September vorzubereiten. Pfaundler führte dazu aus, dass sicherlich anlässlich der UNO-Debatte viele internationale Journalisten nach Südtirol kommen werden. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Lage so ruhig ist wie bisher, wird man bei diesen Leuten kaum den erforderlichen Eindruck hinterlassen können.“ Pfaundler informierte die Runde weiters über die unerfreuliche Tatsache, „daß die Innsbrucker Polizei über alle Vorgänge beim BAS informiert sei und dieses Wissen nach Wien berichte. Molden wie auch Pfaundler erklärten, daß sie sich aus der Organisation zurückziehen werden und jede finanzielle Unterstützung einstellen müssten, wenn dies nicht anders werde.“

Moldens Rückzug aus dem BAS
Am 13. November 1960 fand eine Nachfolgebesprechung in Innsbruck statt. Molden, der auf Aktion gedrängt hatte, ruderte zurück: „Es wurde beschlossen, die beabsichtigten Aktionen bis zum Frühjahr zu verschieben, um alles besser zu organisieren und die Bewegung besser aufzubauen. Dies vor allem mit Rücksicht auf die UNO-Vollversammlung. Dr. Molden erklärte, man würde sich dzt. durch solche Aktionen vor der ganzen Welt in ein nicht mehr gutzumachendes Unrecht setzen; er könne daher einen sofortigen Aktionsbeginn nicht verantworten.“ Auch bei einer nachfolgenden Sitzung am 8. Dezember 1960 plädierten Molden und Bacher dafür, noch zuzuwarten, fanden aber keinen Rückhalt: „Wir konnten uns nicht durchsetzen, und wie sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten herausstellte, war die Entscheidung, loszuschlagen richtig und hat schließlich – wie ich heute überzeugt bin – nicht nur den Südtirolern ein großes Maß an zusätzlicher Freiheit und Selbstbestimmung gebracht, sondern auch Italien einen Krisenherd erspart, der langfristig wohl nicht zu vermeiden gewesen wäre.“

Jedenfalls wurde es mit den „Nadelstichen“ in Südtirol ernst: Ende 1960 wurde eine Sprengladung in einem Rohbau für italienische Zuwanderer in Bozen gelegt. Anfang 1961 folgten weitere aufsehenerregende Schläge: Gegen den „Aluminium Duce“ von Waidbruck, gegen die unbewohnte Villa eines faschistischen Senators sowie gegen Bauten für Zuwanderer in Bozen, Meran und Sarntheim. Diese punktuellen Attentate bereiteten die „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 vor: 37 Hochspannungsmasten wurden gesprengt, einige beschädigt, was die Stromversorgung in einigen Teilen Südtirols zusammenbrechen ließ „Damit“, so der „Spiegel“, „schien sich ein mitteleuropäisches Ferienparadies über Nacht in einen Partisanenkriegsschauplatz zu verwandeln.“

In den neuen Dokumenten, die nun für die Forschung zugänglich sind, stellt Molden jede Involvierung in solche Aktionen in Abrede. So gab er in der Vernehmung am 24. Februar 1961 an:

  • „Ich bin von Beruf Journalist und Zeitungsherausgeber und als solcher – wie schon erwähnt – an der politischen Entwicklung für ein freies Südtirol sehr interessiert. Es ist jedoch niemals meine Aufgabe gewesen, noch verfüge ich in diesem Zusammenhang über irgendwelche Vorkenntnisse, mich mit dem Transport oder der Anwendung von Sprengstoffen in Südtirol zu beschäftigen oder etwa solche Transporte zu finanzieren. Als Kulturmensch lehne ich im Übrigen Gewalttaten ab.“
  • „Ich weiß, dass von Seiten des ‚Berg Isel-Bundes’ im Einvernehmen mit dem Generalsekretär der Südtiroler Volkspartei hie und da politisch-propagandistische Funktionärs-Schulungen für Südtiroler SVP-Funktionäre in Innsbruck stattfinden. Es könnte sein, dass diese politischen Schulungen mit irgendwelchen organisatorischen Schulungskursen verwechselt wurden. Ich selber habe auch an solchen Schulungskursen niemals teilgenommen. Ich wiederhole und betone ausdrücklich, dass mir von Schulungskursen für Sabotage, Anschläge usw. in diesem Zusammenhang nichts bekannt ist, und ich persönlich glaube auch nicht an die Richtigkeit solcher Gerüchte.“
  • Molden zitierte im Rahmen der Vernehmung aus einer Richtigstellung, die er 1960 an eine italienische Zeitung geschickt hatte: „Richtig ist ferner, dass sich seit Jahren bemüht war und weiterhin bemüht sein werde, der – wie es mir scheint – außerordentlich gerechten Sache Südtirols, sei es nun publizistisch, sei es auch durch allerdings recht bescheidene Hilfeleistung jede nur mögliche Unterstützung zu gewähren.“
  • Die Darstellung im „Spiegel“ wies Molden zurück: „Ich bin lange genug im 2. Weltkrieg in der Wehrmacht und in der Widerstandsbewegung tätig gewesen, um zu wissen, dass ein solches Freikorps, das allerdings nur in der Fantasie einiger unterbeschäftigter Auslandsjournalisten besteht, falls es existieren würde, bei Gott völlig anders aussehen müsste als so, wie es sich der ‚Spiegel’ vorstellt.“
  • „Ich möchte abschließend noch einmal festhalten, dass sich nicht glaube, dass das Südtirolproblem durch Gewalttaten gelöst werden kann. Es ist jedoch klar darauf hingewiesen, dass wenn es überhaupt in Südtirol zu solchen bedauerlichen Aktionen immer wieder – und nicht erst seit einem Jahr – kommt, dies meiner Auffassung nach nicht auf irgendwelche geheimnisvollen österreichischen Organisationen, sondern, im ganzen genommen, auf die völlig falsche Politik Italiens in Südtirol und die damit verbundene Verbitterung weiter Kreise des Südtiroler Volkes zurückzuführen ist. Wenn Italien den Südtirolern endlich wenn schon nicht die Selbstbestimmung, so doch die Autonomie gewähren würde, wäre meiner Auffassung nach auch die Voraussetzung für eine friedliche Atmosphäre geschaffen und niemand müsste sich mehr länger mit unsinnigen Kombinationen über Attentate, Sabotageakte oder Untergrundbewegungen beschäftigen.“
Hinweis: Artikel zur Rolle Österreichs im Südtirolkonflikt