Montag, 24. August 2015

Ein vergessener Spionage-„Hotspot“ des Kalten Krieges: Gmunden-Altmünster

Ab 1946/47 begannen die US-Nachrichtendienste in großem Stil osteuropäische Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen SS anzuwerben – so auch im Nachkriegsösterreich. Die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen durch den Kalten Krieg hatten aus früheren Feinden Verbündete gemacht. Ein Zentrum dieser Tätigkeiten waren Gmunden und das nahegelegene Altmünster am Ufer des Traunsees in Oberösterreich – die Aufarbeitung dieses Kapitel Zeitgeschichte steht noch am Anfang.
Am Ufer des Traunsees in Altmünster (Foto: Autor)
Mindestens 1.000 Ex-Nazis als Spione und Informanten
Die Mitarbeiter des 430th Detachments des Counterintellligence Corps (CIC), dem Geheimdienst der US-Army, waren Anfang Mai 1945 in Österreich eingetroffen und hatten sich zunächst in Salzburg und ab August 1945 in Wien eingerichtet (die erst 1947 gegründete CIA übernahm ab 1949 wesentliche, bis dahin vom CIC erfüllte Aufgaben in Österreich). Im Verlaufe der Besatzungszeit war das CIC mit ca. 500 hauptamtlichen Mitarbeitern aktiv. Ihre Hauptaufgabe war zunächst die Entnazifizierung im US-Besatzungsbereich. Doch die Priorität verschob sich schon innerhalb weniger Monate zur Beobachtung der Aktivitäten der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer zentral- und osteuropäischen Verbündeten, das Abschöpfen von „Displaced Persons“ (DPs), d. h. von Flüchtlingen, Vertriebenen aus Osteuropa und Kriegsheimkehrern, sowie das Sammeln von Informationen über die österreichische Innenpolitik. Unter den dafür angeworbenen Informanten und Zuträgern befanden sich osteuropäische NS-Kollaborateure bzw. Veteranen der NS-Geheimdienste und der Waffen-SS. Unter den geänderten Vorzeichen des Kalten Krieges waren aus früheren Feinden Verbündete geworden. 2014 kam eine Studie zum Schluss, dass mindestens 1.000 frühere Nationalsozialisten von US-Diensten als Spione und Informanten beschäftigt worden waren.
In Salzburg war das CIC anfangs im Franziskanerkloster untergebracht (Foto: Autor)
„Intelligence jungle“
Österreich spielte in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle: Zahllose zivile und militärische Deserteure sowie gefährdete Agenten wurden hier über eine eigens installierte „Rattenlinie“ aus dem sowjetisch besetzten Teil und aus Osteuropa herausgeführt. In einem freigegebenen Recherchepapier der CIA von 1999 ist von einem regelrechten „intelligence jungle“ die Rede. Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und von faschistischen Organisationen aus Zentral- und Südeuropa boten fabrizierte Informationen feil, um die man sich dann gestritten hätte „like so many women in Macy’s basement on the day after Christmas“, so ein pensionierter Offizier.

Zweck heiligte die Mittel
Eine Untersuchung des amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb. Offenbar habe die Philosophie gegolten, dass der Zweck die Mittel heilige. Die Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war damals kein Kriterium, um als Informant abgelehnt zu werden. Dass sich das CIC mit solchen Quellen einließ, hatte mehrere Gründe: Mangelhafte Kontrolle über die massiv ausgeweiteten Aufklärungsvorgänge, interne Rivalität zwischen den verschiedenen geheimdienstlichen Organisationen und Defizite in der Personalstruktur. Infolge der Reduktion der US-Armee in Westeuropa bis Ende 1945 war das CIC mit jungen und ungenügend ausgebildeten Rekruten besetzt, die kaum für die Verbrechen des NS-Regimes sensibilisiert waren. Alle diese Faktoren wirkten sich negativ auf die operative Effektivität aus und führten letztendlich dazu, dass man in großem Maßstab auf „antikommunistische Ressourcen“ zurückgriff, um die eigenen Vorgaben zu erfüllen. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte diese Schwäche jedenfalls weidlich aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich daraus zu ziehen. Für die westlichen Dienste war der Schaden letztlich größer als der Nutzen: Denn ihre braune Vergangenheit hatte manche Agenten erpressbar gemacht – so wurden etwa in der Organisation Gehlen (Vorläufer des 1956 gegründeten Bundesnachrichtendiensts, BND) hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.

„SS verlässlichste Waffe“
Einer der bekanntesten Quellen des CIC in Österreich war Wilhelm Höttl (1915-1999), ehemals SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Auslands-Sicherheitsdienst (SD). Nach Kriegsende 1945 machte Höttl eine erstaunliche zweite Karriere: Als Autor, Gründer des Privatrealgymnasiums in Bad Aussee und, wegen seines Spezialwissens über Ungarn und den Balkanraum, als Spion verschiedener Geheimdienste. Deswegen entließ die US-Armee Höttl im Dezember 1947 und verweigerte seine Auslieferung an eines der österreichischen Volksgerichte, die damals gegen NS-Täter vorgingen. Schon 1948/49 führte Höttl im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch. Gemeinsam mit den ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen Erich Kernmayer und Karl Kowarik installierte er für das CIC Field Office Gmunden Anfang Juli 1948 zwei Netzwerke. Höttl erinnerte sich Ende der 1970er Jahre positiv an seine Dienstherrn: „Speziell in Gmunden war eine Zweigstelle des CIC, in der sich tapfere Elemente gefunden haben, die sagten: ‚Ganz egal, wo die Informationen über die Russen herkommen, diese Leute wissen am meisten. Wenn die uns helfen, helfen wir ihnen, wenn sie gefährdet sind.’ […] Die Amerikaner hatten sich überhaupt nicht dafür interessiert, wo der Mann vorher war, ob er bei der Waffen-SS oder bei der Allgemeinen SS gewesen war. Er hätte genauso gut ein Treblinka- oder Auschwitz-Mann sein können, das war denen ganz gleich […]. Nach der ersten Hasswelle von Nürnberg, die 1946 abebbte, begann schon 1947 die Fraternisierung speziell mit der SS, weil sie als verlässlichste Waffe angesehen wurde.“
Blick auf Altmünster (Foto: Autor)
Spionagezentrum Gmunden-Altmünster
Gmunden und Altmünster bildeten zusammen einen wichtigen Knotenpunkt US-amerikanischer Nachrichtendiensttätigkeit. Neben dem CIC Field Office war am ehemaligen Gmundner Flugplatzgelände ein Verhörzentrum, das US Detailed Interrogation Center (USDIC), untergebracht. Dort wurden nicht nur Befragungen durchgeführt, sondern auch gleich die Auswertung in Form spezieller USDIC-Berichte vorgenommen. Abgeschöpft wurden vor allem Insassen des Camps Marcus W. ORR in Glasenbach. In diesem Internierungslager saßen 1947/48 Personen ein, die unter die Kriterien des „automatic arrest“ fielen: Zivile und militärische Repräsentanten der NSDAP, Mitglieder ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände, Jugendorganisationen sowie dekorierte Honoratioren und Träger von NS-Auszeichnungen. Wöchentlich wurden ausgewählte „Glasenbacher“ in Kastenwägen ins USDIC transportiert und dort befragt – unter anderem auch von Österreichern im Auftrag des CIC. Einmal, am 18. Dezember 1945, kamen 15 Gefangene ums Leben, als ihr Transportfahrzeug auf dem Weg nach Gmunden in Eugendorf von einem Eisenbahnzug erfasst wurde.

In Altmünster wiederum residierten zahlreiche „Ehemalige“, die das CIC rekrutiert hatte oder von nachrichtendienstlichen Interesse waren:

·         In Nr. 130 war „nur zum Wochenende“ der ehemalige SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing anzutreffen. Nach 1945 war er zunächst für die Organisation Gehlen und dann für die US-Dienste tätig. Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als Agent des SD im Nahen Osten aktiv gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.

·         In Nr. 106 war der frühere SS-Obersturmführers Anton Fellner ansässig – er leitete eines der Informanten-Netzwerke Bolschwings und war später in der Verkaufssparte der VOEST beschäftigt.

·         Von der Villa Bauer und der Villa Maria Luise aus führten Kowarik und Kernmayer 1948/49 stellvertretend für Höttl die beiden erwähnten Netzwerke „Montgomery“ und „Mount Vernon“. Schon zu dieser Zeit nahmen sie im Rahmen des „Gmunder Kreis“ Einfluss auf die Etablierung des Vereins der Unabhängigen (VdU) als politische Vertretung der „Ehemaligen“.

·         In Nr. 14 wohnte der Waffen SS-Veteran und Publizist Lothar Greil (1925-2007) – auch er gehörte zum „Gmundner Kreis“, war im VdU und in der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS (HIAG) aktiv. Weiters zählte Greil im Frühjahr 1955 zu den sieben Gründungsmitgliedern der "Vereinigung der kommunistisch Geschädigten und Bedrohten" in München. In zahlreichen Publikationen relativierte er Kriegsverbrechen und strickte am Mythos eines deutschen „Präventivkrieges“ gegen die UdSSR mit.