Freitag, 5. Februar 2016

Ein Waffenlager im Schrebergarten: Das vergessene stay behind-Depot in Wien-Lainz

Ein Zufallsfund in Wien-Lainz lüftet eines der letzten Geheimnisse des Kalten Krieges in Österreich. Ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, wurde 2014 ein umfangreiches Waffen- und Sprengstoffdepot der britischen Armee geöffnet – aber erst jetzt lassen sich Hintergrund und Funktion bestimmen.

Eine beschaulich ruhige ehemalige Kleingartenanlage in Wien-Lainz am Rande des Hörndlwalds: Wer würde ausgerechnet hier eines der letzten Geheimnisse des Kalten Krieges in Österreich vermuten? Genau das trat am 14. Juni 2014 zutage: Eine zugezogene Familie hatte sich daran gemacht, in einem verwucherten Schrebergarten neu zu bauen. Das Wochenendhäusen der Vorbesitzerin war bereits geschliffen. Unter der Beton-Grundfläche in zwei Meter Tiefe stieß der Bagger plötzlich auf Wellblech. Als darunter stark verrostete Metallkisten und Patronen zum Vorschein kamen, war es für die herbeigerufene Polizei ihrerseits an der Zeit, den Entminungsdienst zu verständigen. Die „sachkundigen Organe“ bargen schließlich mehrere Dutzend kg Sprengstoff, acht bis zehn Munitionsbehälter, Sprengschnurrollen, in Plastik eingeschweißte Zünder und spezielle Exemplare für die Sabotage von Eisenbahnlinien (Fog Signal Igniter), Sten Mk6-Maschinenpistolen, FN-Pistolen, Bajonette, Stangenmagazine, Leukoplast sowie einen Erste-Hilfe-Kit mit Skalpellen, Injektionsnadeln und gläsernen Medizin-Fläschchen. 

Vor allem die Waffen befanden sich in erbärmlichen Zustand – lediglich in Holzkisten verpackt hatte die Lagerung in dem rotlehmigen und Hangwasser führenden Boden nicht gut getan. Die besser geschützte Munition war immer noch schussfertig. Und es bestand Explosionsgefahr – der Baggerfahrer hatte laut den zwischenzeitlich nervös gewordenen Entschärfern sogar Glück gehabt. Niemand durfte die „Rostleichen“ anfassen. Die Druckzünder beispielsweise waren immer noch scharf und hätten mit einer größeren Sprengstoffmenge auch heutige Lokomotiven zum Entgleisen gebracht. Die Bergung ging aber ohne Zwischenfälle zu Ende. Laut offizieller Auskunft vom Bundesministerium für Landesverteidigung wurden die „230 kg Kriegsmaterial“ anschließend vernichtet.



In Wien-Lainz gefunden: Zünder, Sprengschnur, Munitionsbehälter und Medizin-Flasche (von o. nach u. - Quelle: privat)

In Tageszeitungen wurde am 16. Juni 2014 kurz über den Fund von "Briten-Kriegsmaterial" berichtet: "Eine Metallkiste mit Munition, Bayonetten und zwei Pistolen." Tatsächlich war die Ausbeute viel umfangreicher und auch keiner der üblichen Zufallsfunde aus dem 2. Weltkrieg. Das zeigte schon die Zusammensetzung: Sprengstoff und Zubehör für Sabotage sowie die ikonische „Sten Gun“, der sich Spezialeinheiten und der antifaschistische Widerstand gerne bedient hatten. Eindeutig zu bestimmen war alles durch den „Broad Arrow“ – einem heraldisches Zeichen, mit dem britischer Regierungsbesitz ausgewiesen wird. Dieses Zeichen fand sich sowohl auf den Munitionskisten als auch auf den Medizinfläschchen. Somit scheidet der 2. Weltkrieg als „Ursprung“ aus – vielmehr war das Lainzer Depot Teil von Vorbereitungen für den Fall, dass aus dem Kalten Krieg ein „heißer“ geworden wäre. Das lässt sich mit Rückgriff auf vormals geheime Unterlagen im Wiener Staatsarchiv belegen.
Eines der wenigen erhaltenen Artefakte - Medizinfläschen mit dem "Broad Arrow" (Foto: Autor)
Französischer Partisan mit Sten Gun 1944 (Quelle: Wikimedia Commons)
Vorbereitung auf den „Tag X“
Ende der 1940er Jahre schien eine Invasion der Roten Armee jederzeit möglich. Hatten doch die Sowjets 1948 Berlin abgeriegelt und die Macht in Ungarn sowie der Tschechoslowakei an sich gerissen. 1950 entbrannte der Koreakrieg. Die immensen Spannungen, die sich zwischen den Supermächten aufbauten, spürte man im besetzten Nachkriegsösterreich besonders stark: Hier stießen Ost und West unmittelbar aufeinander, eine Teilung des Landes oder ein Putsch lagen in der Luft. In dieser Situation koordinierte die CIA in ganz Westeuropa ein dichtes Netz von Guerilla- und Partisaneneinheiten auf, das unter den Bezeichnungen „stay behind“ oder „Gladio“ (Deckname der italienischen Formation) geläufig geworden ist.

Dafür rekrutierte Agenten sollten im Kriegsfall hinter der Front aktiv werden. Ihre Aufgaben: Sabotage, Informationsbeschaffung und Durchschleusen von VIPs, abgeschossenen Piloten und Kriegsgefangenen. Damit am „Tag X“ alles bereit war, wurden Erddepots mit Waffen, Sprengstoff, Funkgeräten und anderer Ausrüstung angelegt. In Österreich wurden 1996 65 dieser geheimen Lager nach entsprechender Information durch die USA lokalisiert – 33 in Oberösterreich, 27 in Salzburg und fünf in der Steiermark. Das Kriegsmaterial hätte für bis zu 1.000 Mann gereicht. Weniger bekannt ist dagegen, dass auch die britische Besatzungsmacht solche Vorkehrungen traf – und zwar schon zu einem früheren Zeitpunkt als die USA. Vielleicht schon 1946/47 oder Anfang der 1950er Jahre legten die Briten in ihrer Zone Waffen- und Ausrüstungslager an und zwar fast ausschließlich in Kärnten. Es gab nur eine besondere Ausnahme – das nun gefundene Versteck in Wien-Lainz am Rande des britischen Sektors.
Britische Kommando-Soldaten 1942 in Frankreich (Quelle: Wikimedia Commons)
Einsatzgebiet Kärnten
Simon Preston, in den 1950er und 1960er Jahren Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, gab 1996 der „Presse“ ein Interview. Er wäre im Falle einer militärischen Konfrontation mit dem Fallschirm über Österreich abgesprungen. 1952 führte Preston eine Mission nach Kärnten: „Wir waren vier Soldaten und hatten die Aufgabe, sechs geheime Waffendepots anzulegen.“ Pro Lager gab es einen österreichischen Verbindungsmann. Dieser hätte die Aufgabe gehabt, die britischen Agenten im Ernstfall zu den Verstecken zu führen.  

Erst 2014 hat der norwegische Historiker Olav Riste neue Belege veröffentlicht, wonach gerade britische Stellen kurz nach Kriegsende 1945 besorgt waren, dass es in Westdeutschland und Österreich zu sowjetischen Umsturzversuchen kommen könnte. Deshalb wurde die Installierung von Untergrund-Widerstandsnetzen in den britischen Besatzungszonen empfohlen. Im Oktober 1945 gaben die Stabschefs eine entsprechende Direktive heraus, wonach das Special Operations Executive (SOE) eine Organisation aufbauen sollte, die im Notfall schnell einsatzbereit wäre. Dafür sei es notwendig ein klandestines Kontakt- und Kommunikationsnetz vorzubereiten.

Das SOE war eine Sondereinheit für Einsätze hinter feindlichen Linien und hatte zwischen 1940 und 1946 Bestand. Priorität für das SOE, dessen Know-how bald in neuen Formationen aufging, hatten jene Länder, die bereits früh unter sowjetische Kontrolle zu fallen drohten, also Österreich und die BRD. Darüber hinaus befand sich gerade die britische Besatzungszone (Kärnten, Osttirol und Steiermark ohne Salzkammergut) in einer prekären Lage. Kurz nach Kriegsende 1945 war es zu gefährlichen Spannungen mit Jugoslawien gekommen, die erst 1948/49 abflauten, als Tito mit Stalin brach. Danach kam es für die Alliierten darauf an, die strategisch wichtige Laibacher Pforte – die Landverbindung zwischen Oberitalien, Südösterreich und Jugoslawien – gegen einen Vorstoß der Roten Armee zu halten. Die Depots in Kärnten dürften daher vor allem solchen Szenarien geschuldet gewesen sein. Zeitzeuge Preston wiederum hielt es für möglich, dass Waffen aus den Verstecken im Rahmen des Ungarnaufstandes 1956 tatsächlich zum Einsatz kamen. Er selbst war im Oktober 1956 als Agent in Budapest gewesen.
SOE-Agenten (3. und 4. von rechts) mit französischen Partisanen 1944 (Quelle: Wikimedia Commons)
1959: Die ersten Depots werden entdeckt
Im Unterschied zu den US-Lagern, die erst in den 1990er Jahren Gegenstand einer öffentlichen Kontroverse wurden, flogen die britischen Pendants relativ früh auf. Am 18. Dezember 1959 wurden im Waldkogelgebiet nahe der Ortschaft Baierberg (Gemeinde Guttaring) mehrere mit Wellblech eingefasste Waffenbunker entdeckt – die Gendarmerie war darauf aufmerksam geworden, weil Einheimische in Uniformstücken herumgelaufen waren. Es handelte sich um US-amerikanische Waffen, Munition und Sprengstoff, Bekleidung, Verpflegung und Sanitätsmaterial. Angelegt worden waren die Depots von britischen Soldaten, die sich 1952 für drei Wochen in dem Gebiet aufgehalten hatten. Im Rahmen von Nachforschungen gab ein pensionierter Kärntner Gendarmerieoffizier 1960 Auskunft: „Die Bunker sind damals im Rahmen eins Manövers der britischen Truppen angelegt worden, wobei das Manövergelände für den Zutritt fremder Personen gesperrt worden sei. […] Während ein ähnliches Lager bei Arnoldstein, welches jedoch nur Munition enthalten habe, noch vor dem Abzug der britischen Besatzungsmacht geräumt wurde, seien die Bunker im Waldkogelgebiet offenbar vergessen worden.“

Hinweise aus Großbritannien
Nach diesem ersten Fund hatte die Nachrichtengruppe des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMfLV), Vorläufer des heutigen Heeresnachrichtenamts, insgeheim ermittelt. Man setzte sich mit den britischen Behörden in Verbindung, um herauszufinden, ob noch weitere Waffenlager bestünden. Der britische Militärattaché in Wien begab sich daraufhin nach London und richtete am 10. Februar 1960 aus, dass die „entsprechenden Pläne“ im Laufe der „nächsten Tage“ in Wien eintreffen würden: „Er übermittelte gleichzeitig das Ersuchen des britischen Militärischen Nachrichtendienstes, die Entleerung der Bunker tunlichst unauffällig vorzunehmen und Presseveröffentlichungen nach Möglichkeit zu verhindern.“

Die Heeresgeheimdienstler fügten die Puzzlestücke zusammen und analysierten bereits Ende Jänner 1960 zutreffend: „Die Anlage derartiger Depots wurde im Zuge vorsorglicher Räumungsmaßnahmen von besonders ausgebildeten Sonderkommanden in allen besetzten europäischen Ländern für den Fall der notwendigen Räumung vorgenommen. Die Depots hatten den Zweck, nach der Räumung der betreffenden Gebiete den dortigen Widerstandsgruppen hinter der feindlichen Front, bzw. den mit Flugzeugen abgesetzten eigenen Agenten bei dem Aufbau von Partisanen- (Untergrund-) bewegungen das notwendige Ausrüstungsmaterial zu bieten. Es ist als sicher anzunehmen, dass das jetzt in Kärnten aufgefundene britische Depot die gleiche Bestimmung hatte, umso mehr, als auch der US-Nachrichtendienst auf dem Gebiete der heutigen DDR nach der gleichen Methode bereits ähnliche Depots vorsorglich anlegte. “ Damit könnte das Project LCSTART gemeint sein, mit dem die CIA ab dem 21. Februar 1952 hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR ein Programm für Sabotageeinheiten und andere paramilitärische Aktivitäten laufen hatte. Vorgesehen war eine weitere Operation mit dem Codenamen TEMPER zum Aufbau von Flucht- und Evakuierungsrouten bzw. zur Bildung eines Kerns für langfristigen Widerstand. Zu beiden Projekten sind bislang keine Unterlagen freigegeben worden.
Britischer Korporal mit Sten Gun im März 1945 (Quelle: Wikimedia Commons)
Waffen von „Südtirol-Aktivisten“ entwendet?
Im Juli 1965 kam es erneut zu einem öffentlichen Aufschrei: Nach „vertraulichen Mitteilungen aus der Bevölkerung“ wurde in  einem aufgelassenen Bergwerksstollen in der Nähe von Windisch-Bleiberg ein Depot sichergestellt, dessen Inhalt aber geplündert worden war. „Aus den erbrochenen Kisten konnte der Schluss gezogen werden, dass mindestens 30 Gewehre, einige Tausend Schuss MP- und Gewehrmunition sowie größere Mengen Sprengstoff in die Hand unbefugter Personen gelangt waren“, heißt es in einem Bericht der Sicherheitsdirektion Kärnten. 
Meldung der Arbeiter-Zeitung vom 31. 7. 1965 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Der Verdacht kam auf, „Südtirol-Aktivisten“ könnten sich bedient haben. Die Staatspolizei schaltete sich ein und löste den Fall innerhalb von drei Monaten: Schüler der Fachschule für Handfeuerwaffen in Ferlach hatten die Waffen entwendet und teilweise weiterverkauft. Für die Kärntner Behörden war dies alles andere als ein Lausbubenstreich: „Im Interesse der inneren Sicherheit des Staates muss unbedingt verhindert werden, dass noch weitere Waffen- und Sprengstoffdepots von Unbefugten ausgeplündert werden. […] In welch dunklen Kanäle diese Waffen fließen könnten, ist gar nicht abzusehen. Unter den Schülern der bezeichneten Fachschule befinden sich zahlreiche deutsche Staatsangehörige, bei denen auf Grund ihrer größtenteils betont nationalen Einstellung eine Verbindung zu den Südtirol-Aktivisten keineswegs auszuschließen wäre.“

Die Stellen in Klagenfurt drängten das Innenministerium dazu, „ganz offiziell“ mit dem Verteidigungsministerium in Kontakt zu treten und „mit allem Nachdruck“ auf eine Herausgabe „allenfalls“ vorhandener Pläne und Informationen zu verlangen: „Der ho. Sicherheitsdirektion zur Kenntnis gekommene Informationen besagen, dass die ehemalige britische Besatzungsmacht alle von ihr im Bundesland Kärnten über die Ausrüstungs- und Waffendepots angelegten Pläne nach dem Abzug im Jahre 1955 den österreichischen Bundesheer übergeben haben soll. […] Offenbar hat das Bundesministerium für Landesverteidigung die Lage dieser Depots bisher deshalb geheim gehalten, um nicht Großbritannien gegenüber Jugoslawien auszuspielen und den Verdacht aufkommen zu lassen, dass Großbritannien sich für einen allfälligen Konflikt mit Jugoslawien vorbereitet habe. Eine Geheimhaltung ist jedoch jetzt keineswegs mehr am Platze, weil die Existenz derartiger Lager auf Grund der inzwischen in Guttaring und im heutigen Sommer wiederum in Windisch-Bleiberg gemachten Entdeckungen weitgehend bekannt ist.“
Kommando-Training in Schottland 1941 (Quelle: Wikimedia Commons)
Fast 20 größere Waffenlager in Kärnten
Am 16. November 1965 war es soweit: Vertreter des Innenministeriums und der Nachrichtengruppe trafen sich zu einer Besprechung, wobei letztere eröffneten, dass bereits 17 Lager „ausgeforscht und entleert“ worden waren. Das Lager in Windisch-Bleiburg sei ebenfalls bekannt gewesen, „doch sind die Gründe, warum dieses Lager nicht rechtzeitig entleert worden war, hier nicht bekannt“. Die Heeresspione klärten zudem auf, dass noch weitere 11 Lager existierten, die noch nicht geräumt worden seien. Aufgelistet wurden drei „Waffen-, Munitions- und Sprengmitteldepots“, sechs „Überlebendenlager, die lediglich aus „einem Mundvorrat, einer Pistole und einer Flasche Cognac“ bestanden sowie ein Lebensmittel- und Bekleidungsdepot bzw. ein Nachrichtendepot. Alle befanden sich bis auf eine Ausnahme – das Lager in Wien-Lainz – in Kärnten. 

Rechnet man die unbedeutenden Klein-Verstecke weg, so waren dort insgesamt fast 20 größere Waffenlager angelegt worden – und zwar in Hüttenberg, Guttaring, St. Gertraud, Wieting, St. Oswald, Diex, Krumpendorf und Windisch-Bleiberg. Allerdings liegen nur von vier Lagern Inhaltsverzeichnisse vor. Demnach waren neben umfangreichen Munitions- und Sprengstoffvorräten Waffen unterschiedlichster Herkunft gebunkert worden, darunter Lee-Enfield-Gewehre, Sten-Maschinenpistolen und kanadische M-35-FN-Pistolen, die in der Folgezeit von Offizieren und Unteroffizieren der Nachrichtengruppe als Dienstwaffen weiterverwendet wurden. In Klagenfurt konnte jedenfalls ein Schlussstrich gezogen werden – am 7. Dezember 1965 wurde vermerkt: „Es ist nunmehr anzunehmen, dass keine weiteren Lager der britischen Besatzungsmacht in Kärnten bestehen.“

Das vergessene Lager in Wien-Lainz
Damit stellt sich abschließend die Frage, warum das Wiener Depot bis 2014 Bestand hatte. Aufschluss darüber gibt ein Aktenvermerk vom 17. November 1965. Darin heiß es: „Die Anlegung dieses Lagers durch die britische Besatzungsmacht wurde durch einen Österreicher geduldet, der auf dem bezüglichen Grundstück ein Einfamilienhaus besitzt. Das Waffendepot wurde so angelegt, dass es erst nach Beseitigung einer Betonmauer zugänglich ist. Eine Gefahr des Auffindens durch Unbefugte besteht nicht. Das BMfLV übernimmt die Verantwortung, dass Unbefugte nicht zu dem Waffenlager gelangen und dieses anlässlich eines zu erwartenden Umbaues des Einfamilienhauses in den nächsten ein bis zwei Jahren auch tatsächlich geräumt wird.“

Nicht alle Details stimmen hier: Tatsächlich befand sich das Objekt – ein ebenerdiges, kleines Wochenendhäuschen – seit 1952 im Besitz einer alleinstehenden Frau, die 2010 im Alter von 91 Jahren verstorben ist. In der Nachbarschaft kursieren bis heute Gerüchte, wonach sie im Innenministerium Karriere gemacht habe, was sich nicht belegen lässt. Ihr ebenfalls verschiedener Bruder hatte im 2. Weltkrieg bei den Gebirgsjägern gedient und war danach Bundesheer-Reserveoffizier. Ob er jene Person sein könnte, die im Dokument genannt wird, lässt sich ebenfalls nicht nachweisen. Die Gegebenheiten am Fundort passen jedenfalls zu der Beschreibung: Die Beton-Platte, auf dem das Häuschen stand, war größer als dessen Grundfläche und zweigeteilt - im vorderen Bereich fand sich ein Metalldeckel mit Griff, der einen darunterliegenden engen Schacht verschloss. Dieser wiederum war mit Ziegelsteinen ausgemauert und verfügte selbst über einen dünnen Beton-Boden. Darunter waren schließlich die mit Wellblech abgedeckten Waffen und der Sprengstoff. Aus dieser Anordnung ist zu schließen, das das Lager "zuerst" da war - als dieser Geländeabschnitt noch bewaldet und nicht parzelliert war. Betonfläche und Häuschen wurden nachträglich darüber errichtet und das Geheimnis so gewahrt. Dazu passt auch, dass die Besitzerin zeitlebens keinen Wasser-, Kanal- und Stromanschluss vornehmen ließ. 
Der Fundort - der Deckel zum Schacht ist rechts im Vordergrund der Betonfläche zu sehen (Quelle: privat)
Das Depot in Wien-Lainz ist wahrscheinlich in den späten 1940er Jahren angelegt worden, als die Besorgnis über sowjetische Absichten bei britischen Stellen besonders ausgeprägt war. Diesen Befund legt der Inhalt nahe - die aufgefundenen Waffen und der Sprengstoff waren vom Typus her im 2. Weltkrieg im Einsatz gewesen. Nach Erschließung des Geländes wenige Jahre später fand man offenbar eine pragmatische Lösung, indem das Wochenendhäuschen einer vertauenswürdigen Person über dem Versteck errichtet wurde. Anders als angekündigt wurde das Depot auch später nicht geräumt - vielleicht befürchtete man zu viel Aufsehen oder wollte abwarten.



Die Munition wäre immer noch verwendbar gewesen - die "doppelte" Lagerung in Holz- und Metallkisten hat die Patronen gut konserviert - die Waffen hingegen waren völlig verrostet (zweites Bild von oben - Quelle: privat)
Das Depot befand sich hier – im schwer einzusehenden „Außenposten“ der Kleingartensiedlung – an einem „perfekten“ Platz. Das wird deutlich, wenn man die nähere Umgebung miteinbezieht. Dort fallen einige neuralgischer Punkte ins Auge: So hätte ein Sabotagetrupp etwa die Verbindungsbahn im Wien-Tal sprengen können. Was heute Teil des S-Bahnnetzes ist, verband bis 2010 die West- und Südbahn bzw. die Süd- und Nordbahn. Ein weiteres lohnenswertes Ziel könnte die ursprünglich als Stadtautobahn konzipierte Schrutkagasse dargestellt haben, eine wichtige Süd-West-Achse. Vom Versteck war es außerdem nicht weit zu wichtigen britische Stellen – einem Lazarett im heutigen Geriatriezentrum am Wienerwald, der Fasangartenkaserne (heute: Maria-Theresienkaserne) und dem Hauptquartier des britischen Hochkommissars in Schönbrunn. Nah war auch der Gegner – der Lainzer Tiergarten, der sich im Westen an den Hörndlwald anschließt, war Teil des sowjetischen Sektors mit der Hermesvilla als nächsten Stützpunkt. Ebenso in sowjetischer Hand war die „Friedensstadt“, eine Siedlung gleich auf der gegenüberliegenden Seite des Hörndlwalds.
Ebenfalls erhalten geblieben: Ein Bajonett (Quelle: Autor)
Wie sich die Sabotageaktionen in der Realität abgespielt haben könnten, kann man in „Der totale Widerstand. Kleinkrieg für jedermann“ nachlesen. Das 1957 vom Schweizer Major Hans von Dach konzipierte Handbuch gibt detaillierte Anleitungen für den „letzten und äußersten Verzweiflungskampf“ gegen eine Besatzungsarmee: Die Bildung von Zellen, die richtige Bewaffnung, die Kommunikation über „tote Briefkästen“ oder das Verhalten bei Verhör und Folter. Der „totale Widerstand“ wurde international zum Bestseller und inspirierte auch Guerillaorganisationen, Rechtsextremisten und linksradikale Terrorgruppen wie die Rote Armee Fraktion. Und – ein Exemplar von „Der totale Widerstand“ wurde in einem britischen stay behind-Depot in der BRD gefunden – als Handlungsanleitung. So heißt es beispielsweise im Abschnitt „Angriff auf das Eisenbahnnetz“:

„Auf offener Strecke werden die Geleise immer in einer Kurve gesprengt. Gründe:
- Gebogene Schienen sind schwerer zu ersetzen als gerade.
- In Kurven entgleisen Züge leichter (Zentrifugalkraft!).
- Das Zugspersonal vermag Breschen im Schienenstrang später und schlechter zu erkennen als auf gerader Strecke.
- Sprenge immer den äußeren Strang. So treibt die Zentrifugalkraft den heranbrausenden Zug an der Zerstörungsstelle leichter aus den Schienen und wirft die Trümmer gleichzeitig auf das Nebengeleise. Fahrtrichtung der Züge im regulären Verkehr: Links.“
Britische Kommandos sabotieren ein Eisenbahngleis in Korea 1951 (Quelle: National Archives and Records Administration/Wikimedia Commons)
Konkret wurde das Handbuch 1996 in einem Depot im Berliner Grunewald, rund einen Kilometer westlich der US-amerikanischen Abhörstation auf dem Teufelsberg, gefunden. Dieses enthielt an zwei Stellen außerdem Container mit drei Pistolen samt Munition, drei Handgaranten, einen Kompass, militärische Karten, eine Funkanlage samt Verschlüsselungsunterlagen, Verbandszeug. Anders als im Vergleich zu Österreich ist die Geschichte der britischen Verstecke in der BRD und West-Berlin bislang noch nicht aufgeklärt. Trotz intensiver Suche konnten in Unterlagen genannte weitere Depots nicht gefunden, was den Verdacht nährt, diese könnten von Dritten geleert worden sein. Wie Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll in ihrem Buch „Die Partisanen der NATO“ (2015) betonen, „bleibt auch der genaue Umfang der britischen Stay-Behind-Aktivitäten in den 1950er Jahren im Dunklen“.

In Österreich dürfte mit dem Zufallsfund in Wien-Lainz dürfte nun das letzte der britischen Lager geleert sein. Ein Grund mehr, die Diskussion darüber, wie sehr das Land vor und auch nach 1955 in den Blockkonflikt involviert gewesen ist, neu und umfassend zu führen.

Funde in Wien-Lainz: Deckel einer Munitionskiste, Eisenbahn-Zünder, Reste von Sten Guns, FN-Pistolen, Bajonette und Stangenmagazine (von o. nach u. - Quelle: privat)

Weiterführende Literatur:
Walter Blasi/Wolfgang Etschmann, „Überlegungen zu den britischen Waffenlagern in Österreich“, in: Walter Blasi, Erwin A. Schmidl, Felix Schneider (Hg.), B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien 2005, 139–153.
Erwin A. Schmidl, Österreich im frühen Kalten Krieg, in: Dieter Krüger, Felix Schneider (Hg.), Die Alpen im Kalten Krieg. Historischer Raum, Strategie und Sicherheitspolitik, München 2012, 109-129.