Donnerstag, 25. Februar 2016

Keine „Insel der Seligen“ – Teil 1

Eine Serie zum Thema Terrorismus und Nachrichtendienste in Österreich - als Kapitel erschienen in: "Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme und die Anfänge des modernen Terrorismus" (2015)
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1971 besuchte der damalige Bundespräsident Adolf Schärf den Vatikan. Im Rahmen des Empfangs bekundete Papst Paul VI., Österreich wäre „eine wahre Insel der Seligen“. Das Zitat ist seitdem zum geflügelten Wort geworden und steht für ein sicheres, konsensorientiertes und neutrales Land, das sich von negativen internationalen Entwicklungen abkoppeln konnte. Das gilt insbesondere für Terrorismus. Dieser ist im Kontext der politischen Entwicklung der Zweiten Republik selten geblieben. Eine statistische Auswertung des Kriminalisten Richard Benda und der „Kurier“-Journalistin Ingrid Gabriel für das Buch „Terror rot/weiß/rot“ ergab für die Jahre 1959-1988 16 Todesopfer und 112 Verletzte. Bei den Toten handelte es sich um einen Politiker, den Wiener Stadtrat Heinz Nittel, drei Diplomaten, sechs Unbeteiligte, drei Polizisten und zwei Täter. In den knapp drei Jahrzehnten fanden außerdem insgesamt 113 Bombenanschläge statt, deren Hauptschauplatz eindeutig in Wien (64), gefolgt von Kärnten (20) und der Steiermark (9) lag.

Nicht in dieser Statistik erfasst sind die im Jahr 1989 von iranischen Agenten in Wien ermordeten drei kurdischen Politiker, von denen einer österreichischer Staatsbürger war. Zu einem weiteren Fall von Staatsterrorismus kam es 2009: Der 27jährige Umar Israliov war am 13. Jänner vor einem Wiener Supermarkt mit zwei Schüssen ermordet worden. Nach Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz hatte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrov den Auftrag zur Ermordung seines ehemaligen Leibwächters „von oberster Stelle“ angeordnet. 1995 starben zwei Linksradikale bei einem missglückten Sprengstoffanschlag gegen einen Strommasten im niederösterreichischen Ebergassing. Weiters forderten sechs Briefbombenserien zwischen 1993 und 1996 vier Todesopfer und 15 Verletzte (darunter der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk), ehe der später als Einzeltäter verurteilte Franz Fuchs 1997 bei einer Routinekontrolle verhaftet werden konnte. Als im Sommer 2007 ein 44jähriger Arzt einen Jugendlichen mit einem Pistolenschuss schwer verletzte, stellte sich in der Folge heraus, dass der Mann für einen Anschlag auf die Wiener Osmanli-Moschee am 15. November 2005 verantwortlich war. Die Detonation des Sprengsatzes hatte damals Sachschaden in der Höhe von 5.260 Euro verursacht. In der Gerichtsverhandlung bezeichnete sich der Arzt selbst als „Terrorist“.

2009 wurden dann bei einer Schießerei in einem indischen Tempel in Wien ein Prediger getötet und 15 Menschen verletzt. Die Auseinandersetzung dürfte „ausschließlich religiös motiviert“ gewesen sein, dennoch scheint sie als Exkurs im Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung auf. Nimmt man diese Opferzahlen in die Statistik auf, dann handelt es sich um insgesamt 27 Tote und 141 Verletzte durch terroristische Gewalt in den vergangenen 50 Jahren. Der Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern zeigt, dass Österreich damit relativ „glimpflich“ davon gekommen ist: So forderte alleine der jahrzehntelange Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) in der BRD 67 Tote, 230 Verletzte, 230 Millionen Euro Sachschaden. Mehr als eine Million Asservate im Polizeiarchiv und elf Millionen Blatt Ermittlungsakten wurden zusammengetragen. Man verurteilte insgesamt 517 Personen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und 914 wegen Unterstützung. In Italien wurden die „bleiernen Jahre“, die Ende der 1960er Jahre begannen und bis Mitte der 1980er Jahre andauerten, zum Synonym für schrankenlose Gewalt: Bei acht größeren Sprengstoffanschlägen zwischen 1969 und 1987 wurden 419 Menschen getötet und 1.181 verletzt. Besonders blutig gestalteten sich auch separatistische Konflikte: Im Nordirlandkonflikt – zwischen republikanischen Gruppen und der britischen Armee bzw. protestantischen Organisationen – starben 1.778 Menschen, 642 davon waren Zivilsten.

Die Gründe, warum Österreich weniger betroffen war, sagen viel über die Verfasstheit der Zweiten Republik aus: Zunächst war in der Bevölkerung weder ein Potential, noch eine verständnisvolle Haltung für radikale politische Veränderung vorhanden. Unter dem Primat des „Wiederaufbaus“ nach 1945 seien „gehorsame Jahrzehnte“ gefolgt, so der Befund des Zeithistorikers Oliver Rathkolb: „Erst in den späten fünfziger Jahren regte sich Widerstand – vor allem in der Jugendkultur, der in den sechziger Jahren politisch geprägt war, ohne auch nur annähernd die Explosionskraft der Jugend- und Protestbewegungen in Frankreich oder auch der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen.“ Vor dem Hintergrund der blutigen Auseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit war das System der Zweiten Republik bewusst auf die Herstellung von Konsens hin ausgerichtet. Institutionen wie die Sozialpartnerschaft oder die anteilsmäßige Verteilung von Macht und Einfluss im öffentlichen Dienst und der verstaatlichten Wirtschaft („Proporz“) garantierten Interessens- und Konfliktausgleich zwischen zwei annähernd gleich großen Parteiblöcken. Während in vielen anderen Ländern Reformen und gesellschaftlicher Wandel wesentlich konfliktträchtiger erkämpft werden mussten, erfolgte dies in Österreich in der Tradition des aufgeklärten Josephinismus – als ein von „oben“ vorangetriebener Modernisierungsprozess: Die Arbeits- und Strafrechts-, Hochschul-, Rundfunk-, Heeres- und Raumordnungsreformen der Ära Kreisky bedeuteten Weichenstellungen in politischer, sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht – und verminderten so gleichzeitig Konfliktfelder, die anderswo einen „Nährboden“ für politische Gewalt darstellten.

Es gibt allerdings noch weitere Faktoren, die dazu geführt haben, dass Österreich als „Ruheraum“ und nicht als Schauplatz terroristischer Gewalt gilt. Im Gegensatz zum „Aktionsraum“ wird ein „Ruheraum“ (oder sanctuary) für Reisebewegungen, für Vorbereitungen von Operationen an anderen Orten oder einfach als Versteck genutzt. Anhand zahlreicher Beispiele, die im Verlauf dieser Studie noch vorgestellt werden, wird belegt, dass Österreich diese Funktionen für Terroristen erfüllte. Paradoxerweise gilt das Land gleichzeitig als „Spielweise“ internationaler Geheimdienste. Und darüber hinaus gerät die Bundeshauptstadt auch immer wieder als ein bevorzugter Wohn- oder Anlageort osteuropäischer Oligarchen, arabischer Potentaten und Mafia-Paten in die Schlagzeilen. „Wien war immer ein Rückzugsgebiet für Schmuggler und Verbrecher aller Art. Immer gab es auch politische Verflechtungen und daraus entstandene Freundschaftskontakte. Das alles hat sich im Wesen bis heute nicht verändert“, meinte dazu der ehemalige Leiter des Wiener Sicherheitsbüros Max Edelbacher. Die Frage, warum Wien so viele dubiose Gestalten anziehe, beantwortete Edelbacher so: „Da ist einmal das sehr einladende Bankensystem, diese balkanesische Gastfreundschaft und die Mentalität des Gebens und Nehmens. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Geld stinkt nicht in Österreich, da fragt niemand, woher das stammt.“

Dass Österreich zu einem „Ruheraum“ bzw. zu einem Umschlagplatz für geheimdienstliche Informationen und dunkle Geschäfte geworden ist, war nicht kalkuliertes Ergebnis einer offiziellen Politik. Dies erklärt sich vielmehr aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Zentrale geografische Lage, seit 1955 verbriefte Neutralität, diskrete Absprachen sowie bis in die Nachkriegszeit zurückreichende Abhängigkeiten, die schwer rückzubauen sind. Jedenfalls ist Österreich nach dem Ende des Kalten Krieges und „heute vielleicht sogar mehr denn je“ ein Zufluchtsort für undurchsichtige Gestalten geworden, brachten es Emil Bobi und Othmar Lahodynsky 2010 in „profil“ auf den Punkt: „Für diese Zielgruppe hat Wien historisch gewachsene Strukturen parat, die nicht nur diesen Gästen, sondern auch dem Land Vorteile bringen. Das ist zwar nicht immer sympathisch, aber fast immer nützlich.“

2014 ging Bobi in „Die Schattenstadt“ der Frage nach, warum Wien zudem „Welthauptstadt der Spionage“ geworden ist. Seine These: „Der Grund ist nicht, wie immer behauptet wird, der Kalte Krieg und nicht die Attraktivität der Stadt, sondern: Der Wiener und sein Wesen. […] Der Wiener ist ein Natur-Agent.“ Bobi erklärt das mit der Mentalität. Die „rätselhaften Packeleien mit der Halbwelt“ seien Produkt einer Überlebensphilosophie: „Den Vorteil nehmen, anstatt sich der Konfrontation auszusetzen, mitkassieren, statt anzustreifen. Man kann ohnehin nichts ändern, die Obrigkeiten nicht brechen; aber man kann sein eigenes Auskommen arrangieren.“

Das neutrale Österreich habe somit einen auf den ersten Blick paradox anmutenden Weg gefunden, für stabile Verhältnisse zu sorgen: Allen potentiellen „Unruhestiftern“ ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich wohlfühlen und ungestört ihren Aktivitäten nachgehen können – solange nichts „passiert“ und damit Österreichs Sicherheit betroffen ist. Dazu hält Bobi fest: „Spione sind willkommen und gegen die eine oder andere Gegenleistung erfahren sie alles, was man hier weiß. Dafür wird die Stadt selbst verschont: Die Geheimdienste, die Mafia-Größen, die Großkriminellen, die terroristischen Schläfer und die anderen Schattenfiguren der Macht nutzen Wien als Ruheraum, bringen ihre Schäfchen ins Trockene, genießen das Bankgeheimnis und das einschlägige Verständnis der Stadt für ihre Zielgruppe. Ihren Organisationen ist es strikt verboten, in dieser Stadt aufzufallen oder gar Schießübungen zu veranstalten. Tatsächlich ist Wien, verglichen mit der Dichte der anwesenden einschlägigen Personen, unverhältnismäßig ruhig.“

Nicht umsonst ließen die Behörden in den 1990er Jahren die Mafiapaten aus Osteuropa gewähren, so der Ex-Sicherheitsbürochef Edelbacher: „Wir konnten sie nur beobachten. Wir sind dann vor dem Hilton, dem Ana Grand Hotel, dem Marriott gestanden. Alles sinnlos. Wir durften zusehen, wie sie vorgefahren sind, aber nicht mithören, was sie dann im Hotel besprochen haben.“ Es habe tatsächlich so etwas wie ein Stillhalteabkommen gegeben: „Es wurde nicht groß an die Wand geschrieben, aber der geheime Slogan war, dass wer Ruhe gibt, auch Ruhe hat.“ Hier spielte auch die Schwäche spezialisierter Sicherheitsstrukturen hinein: Die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (EDOK) zählte damals rund 60 Mitarbeiter, darunter zwei mit akademischem Abschluss. Die überwiegende Mehrheit – rekrutiert aus Gendarmeriedienststellen und dem Wiener Sicherheitsbüro – musste sich nun mit komplexen Transaktionen und verdächtigen Personen herumschlagen, die in ihren Herkunftsländern Verbindungen in höchste politische Kreise unterhielten. Die Sondereinheit des Innenministeriums, so lautete die Kritik von Fachleuten, konnte die organisierte Kriminalität „nicht einmal beobachten, von einer effizienten Bekämpfung ganz zu schweigen“. In Österreich, so Edelbachers Fazit 2008, bestehen „relevante Strukturen organisierter Kriminalität“: „Sowohl die sizilianische Mafia, die Camorra als auch russische Gruppierungen haben sich in Österreich festgesetzt.“ Das Land diene primär als „Ruhezone“, „doch niemand weiß, wie sich dieses Phänomen weiterentwickeln wird“. Ungeachtet der Morde an den Geschäftsleuten Sergej Achmedow (1994) und Izrael Laster (1996) sowie dem georgischen Mafia-Paten David Sanikidze (1996) gilt Wien bis heute als „sicherer Hafen“ – oder wie es der Journalist Florian Horcicka formulierte: „Geschossen wurde lieber in Budapest, Warschau oder Bratislava – in Wien ging und geht es österreichisch-gemütlich ab – meistens jedenfalls.“

Wenn es dennoch „laut“ wird und kein anderer Ausweg bleibt, als sich einzumischen, macht die Republik oft keine besonders gute Figur: Am 13. Juli 1989 wurden drei Kurden in einer Wohnung in der Linken Bahngasse Wien ermordet. Abdul Rahman Ghassemlou und Abdullah Ghaderi-Azar, beides hochrangige Mitglieder der Demokratischen Kurdischen Bewegung (DPIK), waren gemeinsam mit dem Universitätsprofessor Fadul Rasoul von einem Killerkommando der Iranischen Revolutionsgarden in eine Falle gelockt worden.

Allerdings unterlief den Mördern im Zuge der kurzen Schießerei ein Missgeschick: Der Anführer des Kommandos, Mohammed Djafari-Saharoodi, wurde von einem Querschläger verletzt. Gemeinsam mit seinem Untergebenen Amir Mansour Bozorgian wurde er am Tatort aufgegriffen. Obwohl sich der Verdacht erhärtete, dass die Iraner am Blutbad zumindest beteiligt waren, erging gegen sie zunächst kein Haftbefehl. Bozorgian flüchtete sich sofort auf das exterritoriale Gelände der iranischen Botschaft, wo er dem Zugriff der Behörden entzogen war. Saharoodi wiederum durfte sobald es sein Gesundheitszustand erlaubte, das Land verlassen: 11 Tage nach dem Mord an den drei Kurden wurde er von einer Polizeieskorte zum Flughafen Schwechat gebracht, um nach Teheran zu fliegen. Bozorgian gelang dann wahrscheinlich im Dezember 1989 die Flucht: Zuvor hatte man die lückenlose Polizeiüberwachung vor der iranischen Botschaft, in die er sich geflüchtet hatte, auf Druck des Außenministeriums abgezogen. Die Furcht vor möglicher Vergeltung war zu groß gewesen. Man wollte die Beziehungen zum Iran normalisieren und „weitere Opfer“ vermeiden, wie Außenminister Alois Mock meinte.

Als sich 2007 eine junge Ukrainerin unter ungeklärten Umständen auf dem Grundstück der Wiener Villa von Saif Gaddafi (dem Sohn des gestürzten libyschen Diktators) lebensgefährlich verletzte, reiste dieser nur wenige Stunden später ab – an Bord des Jets eines österreichischen Bauunternehmers. Die Ermittlungen wurden ohnedies eingestellt. Am 14. Juli 2011 wurde der mit Interpol-Haftbefehl gesuchte ehemalige KGB-Offizier Michael Golowatow am Wiener Flughafen verhaftet. „Vertreter der russischen Botschaft bemühten sich sofort um den Festgenommenen, der Botschafter intervenierte telefonisch um 3.20 Uhr beim Wiener Oberstaatsanwalt Werner Pleischl und konnte eine Überstellung Golowatows in eine Justizanstalt verhindern. Wenige Stunden später war er frei und konnte ein Flugzeug nach Moskau besteigen“, berichtete die „Zeit“.

Schon fast zu einer Staatsaffäre ausgewachsen hat sich die Causa um Rakhat Alijev: Dieser war bis zur Zwangsscheidung Schwiegersohn des seit 1990 amtierenden kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew gewesen. Außerdem war er Hauptaktionär einer der größten kasachischen Banken, der Nurbank. Als zwei Manager dieser Bank 2007 verschwanden, verlangten die kasachischen Behörden von Österreich (wo Alijev damals Botschafter war) die Auslieferung. Weil erhebliche Zweifel daran bestanden, dass Alijev ein rechtsstaatliches Verfahren erwartete, wurde dies 2007 und 2011 verweigert. Dreimal soll der kasachische Geheimdienst KNB daraufhin eine Entführung Alijevs geplant haben. Österreich sei seinem Ruf, „der Tummelplatz schlechthin für Spione aller Herren Länder zu sein“, gerecht geworden, merkte Alijev in seiner Verteidigungsschrift „Tatort Österreich“ (2013) an: „Die illustren Aktivitäten der kasachischen Geheimdienste nahmen hierzulande nämlich die Züge eines schlechten James-Bond-Films an.“

Um die guten wirtschaftlichen Kontakte zwischen Österreich und Kasachstan nicht zu stören, wurde Aliyev 2011 aufgefordert, Österreich zu verlassen. Er tat dies mit einem eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und hielt sich danach in Malta auf. Erst nachdem der Anwalt Gabriel Lansky für seinen Mandanten – den Unterstützungsverein der Witwen der Mordopfer mit angeblichen Verbindungen zum KNB – Druck auf die Strafverfolgungsbehörden aufbaute, wurde ein Haftbefehl erlassen. Alijev wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich im Juni 2014 verhaftet. Die Anklage gegen ihn und zwei kasachische Mitverdächtige wegen Erpressung, Freiheitsentzug, schwerer Nötigung und Mord hatte das Potential, „eines der größten Strafverfahren in der österreichischen Justizgeschichte zu werden („Tagesanzeiger“). Doch am 24. Februar 2015 wurde Alijev erhängt in seiner Gefängniszelle gefunden – Hinweise auf Fremdverschulden ergaben sich keine.

Mysteriös geblieben ist auch der Tod des ehemaligen libyschen Premierministers Shukri Ghanem: Am 29. April 2012 trieb dieser ertrunken in der Neuen Donau. Zuvor soll er laut Staatsanwaltschaft einen Herzinfarkt erlitten haben. Tatsächlich spricht vieles gegen die offizielle Version. Unter Gaddafi war Ghanem Chef der staatlichen Erdölgesellschaft gewesen und hatte die Kontrolle über zahlreiche libysche Investmentfonds. Laut den Recherchen von Florian Horcicka soll sich Ghanem im Wiener Exil geweigert haben, Gelder an den revolutionären Übergangsrat freizugeben. Daraufhin wurde ein Killerkommando in Marsch gesetzt. Dessen Einreise bzw. die Identitäten der Mitglieder sollen dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz schon im Vorfeld „detailliert“ bekannt gewesen sein. 2014 wiederum machte ein angebliches Mordkomplott gegen den ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch die Runde. Firtasch, gegen den wegen Veruntreuung von 250 Millionen Dollar ein US-Haftbefehl vorliegt, sitzt bis zur Entscheidung über eine etwaige Auslieferung in Österreich fest. Zwischenzeitlich soll ein Killerkommando aus Ungarn und Rumänien eingereist sein, um Firtasch im Auftrag von geprellten Gegnern zu ermorden. Ein Staatsanwalt meinte dazu: „Ich habe mich nicht sonderlich gewundert, denn erstens kommt Firtasch aus dem Osten und zweitens ist viel Geld im Spiel.“

Ansonsten spielen sich Aktivitäten von „Schattenkräften“ diskret im Geheimen ab. Was etwa Spionage betrifft, so kann diese mittlerweile auf eine jahrzehntelange Tradition am Standort Wien zurückblicken. Nach Kriegsende 1945 hatten sich die Geheimdienste eingerichtet und blieben seitdem. Die Nähe zum Eisernen Vorhang prädestinierte die Stadt als Ausgangspunkt für Geheimoperationen, „Schleusungen“ und Kontaktstelle für Agenten beider Lager. Schaden für Österreich wurde schon damals nicht befürchtet. Die Sicherheitsbehörden, so der „Kurier“ 1983, gingen davon aus, dass „alles, was bei uns des Auskundschaftens wert wäre, längst ausgekundschaftet ist und es den Geheimdiensten bloß noch darum geht, sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten“. Mitte der 1980er Jahre waren rund 6.000 „einschlägige“ Personen registriert, darunter zirka 40 Prozent des Personals östlicher und einen geringeren Prozentsatz jenes westlicher diplomatischer Vertretungen. Doch die „Dunkelziffer“ wurde als doppelt so hoch angenommen. Die für Spionageabwehr zuständige Staatspolizei konnte dagegen gerade einmal 200 Beamte in Wien aufbieten. „Wie könnten wir denn da auch nur die geringsten Erkenntnisse gewinnen? Da müssten wir ja jeden einzelnen observieren – und das geht ganz sicher nicht“, kommentierte ein verantwortlicher Sektionschef das Missverhältnis.

Im Nachhinein stellte das für den früheren Innenminister Karl Blecha kein Problem dar: „Ist doch völlig Wurscht, wenn da einer auf einer Parkbank einem anderen ein Kuvert zusteckt! Was geht uns das an? Wir Österreicher nehmen das zur Kenntnis – und überwachen nur, dass diese Leute keine österreichischen Gesetze verletzen. Umgekehrt haben die gewusst, dass sie hier nichts unerkannt tun können. Wenn es Verletzungen dieser ungeschriebenen Agreements gab, dann sind wir eingeschritten.“ Österreich sei ein „bequemes Land“ für die Aktivitäten seines Dienstes gewesen, befand nicht umsonst Markus Wolf, der zwischen 1952 und 1986 die „Hauptverwaltung Aufklärung“ der Stasi geleitet hatte: „Wir konnten mit Diplomatenpässen einreisen, auch war es auf Grund des großen Fremdenverkehrs leicht.“ 

Fortsetzung folgt