Dienstag, 16. August 2016

„Explosion bei der Opernkreuzung!“ Der Alitalia-Anschlag vor 50 Jahren

Um 4.45 Uhr früh am 20. August 1966 detonierte eine 4-Kilo-Bombe vor dem Alitalia-Büro am Kärntner Ring, das schon 1961 ein Ziel gewesen war. „Einer Detonation, die zunächst für einen Blitzschlag gehalten wurde, folgte eine starke Staubwolke, gleichzeitig wurde das Geräusch berstender Glasscheiben gehört", hieß es in der Arbeiter-Zeitung. Das Geschäftsportal wurde zertrümmert und der entstandene Schaden mit zwei Millionen Schilling beziffert. Die Druckwelle zerbarst weiters die Auslagen und Einrichtungen benachbarter Geschäfte sowie die Verglasungen der Abgänge zur Opernpassage. Nur durch Zufall gab es keine Opfer – zum Zeitpunkt der Explosion war ein starker Gewitterregen niedergegangen und die Straßen waren dadurch „fast menschenleer“. 

Der Tatort heute (Foto: Autor)
Ein paar Nachtschwärmer – ein schwedischer und ein norwegischer Student sowie ein Wiener – hatten sich unter das Dach eines Ausgangs der Opernpassage gestellt. Zuerst dachten sie, ein Blitz hätte in unmittelbarer Nähe eingeschlagen, aber dann tanzten die beiden Studenten minutenlang und jubelten: „Uns ist nichts geschehen, wir leben, wir leben, wir leben!“ Etwa zur selben Zeit hatte ein Revierinspektor telefonisch Alarm gegeben: „Explosion bei der Opernkreuzung!“ Die Ladung war vor dem Alitalia-Büro am Schnittpunkt des Gehsteigs und des Schaufensterrahmens abgelegt worden – „da an dieser Stelle eine ca. 10 cm tiefe und im Durchschnitt 35 cm große Mulde aufgerissen wurde“. Aus der Wahl des Zeitpunkts und den Witterungsverhältnissen wurde geschlossen, „dass der Sprengkörper kurzfristig gezündet wurde, so dass die Täter sowohl die Gefährdung von Menschen verhindern, als auch sich selbst noch in Sicherheit bringen konnten“.

Noch während die Spurensicherung erfolgte, überprüfte man die Alibis eines als „Rechtsextremisten und Terroristen bekannten Personenkreises“. Die erste konkrete Spur in diese Richtung war einem Zufall zu verdanken, der sich nur eine Stunde nach dem Bombenanschlag zutrug: Die 54jährige Besorgerin des Hauses in der Lorenz-Mandl-Gasse 14 sah kurz vor sechs Uhr früh den ihr als Spätaufsteher bekannten Mieter Emmanuel K. in einem weißen Arbeitsmantel aus dem Kellereingang kommen. Der 22jährige machte einen verstört-überraschten Eindruck. Stunden später versuchte K. der Hausbesorgerin einzureden, sich getäuscht zu haben und wollte sie überreden, darüber nicht mit der Polizei zu sprechen. Das machte diese erst recht stutzig. Sie teilte ihren Verdacht Staatspolizisten mit, die gekommen waren, um Erhebungen durchzuführen. Denn K. zählte zu jenem Personenkreis, der sofort nach dem Anschlag einvernommen wurde. Weil sein Alibi der Überprüfung nicht standhielt, wurde er am 21. August 1966 verhaftet.

„Geheimliteratur der Militärstaaten“
Bei der anschließenden Hausdurchsuchung wurde neben Material zum Bau von Sprengkörpern eine geringe Menge Sprengstoff sowie ein Zugzünder, Schwefelkohlenstoff, Schwarzpulver, aber auch Geschoßhülsen gefunden. Darüber hinaus wurden Handbücher „über die Herstellung und Anwendung von Sprengkörpern sowie eine umfangreiche Literatur über das gesamte Sachgebiet der Sprengstoffe, Giftgase, den Partisanenkrieg, die Pionierausbildung und ähnliche Werke sichergestellt“. Diesen Umstand fand der Sachverständige des Innenministeriums bemerkenswert. Denn die Druckwerke waren zum Teil nicht im Handel erhältlich, weil sie zur „Geheimliteratur der Militärstaaten“ zählten. Hinweise auf eine Zugehörigkeit K. zum Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) fanden sich nicht, dafür ein Ausweis der westdeutschen Organisation des Bunds Heimattreuer Jugend (BHJ). Er war bereits im Januar und Februar 1963 an Bombenanschlägen auf das Lokal der KPÖ auf dem Akkonplatz in Wien-Fünfhaus beteiligt gewesen. Einige Zeit später deponierte er Sprengkörper in verschiedenen Telefonzellen. Dafür war K. zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Er war bekannt als jemand, „der sich geradezu leidenschaftlich mit der Herstellung von Sprengkörpern beschäftigt, darüber hinaus durch seine Bekanntschaft mit Rechtsextremen aufgefallen ist“.

Wahlhelfer bei Franz Olah
Seit Ende 1964 war K. FPÖ-Mitglied. Vor Beginn des Nationalratswahlkampfs 1966 war er dann als Chauffeur des ehemaligen SPÖ-Innenministers Franz Olah tätig und engagierte sich für dessen rechtspopulistische Demokratisch Fortschrittliche Partei (DFP). Nach neuerlichen Einvernahmen und unter Vorhalt der Beweisergebnisse „bequemte“ sich K. schließlich zu dem Geständnis, „den Sprengkörper an den Tatort gebracht und gezündet zu haben“. Nach „weiterer informativer Befragung“ gab er zu, dass ihn ein Mittäter per PKW zum Tatort gebracht und anschließend wieder weggefahren habe. Dieser Mann sei der 32jährige Hannes Falk gewesen – „doch weigerte er sich unter Hinweis auf sein gegebenes Ehrenwort, eine diesbezügliche Niederschrift zu unterschreiben“. Nach Rücksprache mit dem Ersten Staatsanwalt gab dieser trotzdem seine Zustimmung zur „sofortigen“ Verhaftung Falks. Dieser leugnete nicht, K. zu kennen. Wenige Monate vor dem Alitalia-Anschlag war Falk Geschäftsführer in der „Billateria“ in der Singerstraße im 1. Bezirk geworden. K. war dort ebenfalls als Schankgehilfe beschäftigt. Hingegen stritt Falk jede Beteiligung an dem Anschlag ab.

K. war Vollwaise; sein Vater war im Zweiten Weltkrieg gefallen, die Mutter starb 1959. Einer geregelten Beschäftigung ging der junge Mann in den Monaten vor der Tat nicht nach. Dafür hatte K. eine ungewöhnliche Begabung als Sprengstoffbastler. Falk hingegen hatte sich politisch im Hintergrund gehalten, „war aber der Polizei seit Jahren als einer der gefährlichsten Rechtsextremisten bekannt“. Gemeinsam mit K. und anderen Ex-BHJ-Angehörigen war Falk bei der Nationalratswahl 1966 in den „Wahlhelfergruppen“ der DFP organisiert, die besonders zum „Saalschutz“ eingesetzt wurden.

„Verbindungen zum Kreis. Dr. Burgers“
Die Arbeiter-Zeitung skizzierte das Umfeld, in das die beiden Attentäter eingebettet waren: „Es sind jene Gruppen, die sich einst um den wiederholt verurteilten Konrad Windisch und den Grazer Eisenhändler Soucek, der später nach Spanien und Südafrika flüchtete, gruppierten, sich als Führer verschiedener neofaschistischer Aktivitäten hervortaten und schließlich bei Olah Unterschlupf fanden. Querverbindungen dürften auch zu einzelnen Gruppen innerhalb des umstrittenen ‚Österreichischen Turnerbundes‘ […] und zu dem Kreis Dr. Burgers reichen“. Der spätere Gründer der Nationaldemokratischen Partei (NDP) und in Italien verurteilte Südtirol-Attentäter Norbert Burger war damals eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene in Österreich. In der Wohnung von Falk war ein Schriftverkehr mit Burger gefunden worden, der belegte, „dass es zwischen den beiden Meinungsverschiedenheiten gab, die derart ausarteten, dass, nach Angabe des Falk, in einem der letzten Briefe Dr. Burger das Antwortschreiben mit dem Götz-Zitat abschloss.“ Zwischen den beiden habe eine „persönliche Abneigung“ geherrscht, erfuhr die Staatspolizei von einem Bekannten Falks. Dieser gab an, Burger habe Falk misstraut: „Es wurde die Meinung laut, dass Falk Kontakte zu den Italienern hatte. Außerdem wurde Falk als nicht verlässlich angesehen. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, er sei Polizeispitzel.“

„Idealist, kein Revolutionär“
In der Hauptverhandlung gab Falk nichts zu: „Man könne einen Menschen wohl so weit bringen, dass der auf alles ja sage, doch ihn könne man nicht so weit bringen, zu gestehen, er habe die Tat begangen.“ Falk erklärte lediglich: „Ich bin ein Idealist, kein Revolutionär.“ Der Prozessbeobachter der Staatspolizei notierte: „Im Verlaufe der Vernehmung erklärte Falk wiederholt, er habe zu dieser Tat eine bestimmte Meinung, könne sie aber dem Gericht nicht sagen. Nach längerem Zureden erklärte Falk, er habe anfänglich die Meinung gehabt, dass zwischen dem K. als gewesenen Chauffeur des ehemaligen Ministers Olah und dem Bombenattentat ein Zusammenhang bestehe. Heute vertritt er diese Meinung nicht mehr.“ Noch am fünften Verhandlungstag blieb Falk dabei: „Ich wusste von Sprengstoff nichts und habe mit Sprengstoff nie etwas zu tun gehabt.“ Unter den einvernommenen Zeugen war auch Burger, der angab, K. erst bei einer Gegenüberstellung im Landesgericht zum ersten Mal gesehen zu haben. Für den zweiten Angeklagten hatte Burger nur harte Worte übrig: „Falk gehöre zu einem Personenkreis, der immer dort zu sehen sei, wo etwas los ist. Falk sei deshalb suspekt, weil er ein Freund des [Alfred] Borth sei, von dem bekannt ist, dass er ein Konfident der Staatspolizei aber auch der Italiener sei.“ Er selbst habe K. „etwa drei Wochen“ vor dem Attentat in einem Cafe in der Riemergasse mit Borth zusammen gesehen. Bei dem Attentat habe „böser Wille“ vorgelegen – „man habe der Südtirol-Sache schaden wollen“.

Protest gegen Geheimverhandlungen
K. sagte aus, dass sich der Anschlag gegen damals laufende Geheimverhandlungen zwischen Österreich und Italien richtete: „In rechtsextremen Kreisen habe man die Ansicht vertreten, dass Geheimverhandlungen über Südtirol der Sache ‚Südtirol‘ nicht förderlich seien. Die Angeklagten seien deshalb auf die Idee gekommen, einen Sprengstoffanschlag vorzunehmen, um die Öffentlichkeit auf die Geheimverhandlungen aufmerksam zu machen.“ Konkret sei der Anschlag verübt worden, „um dagegen zu protestieren, dass am 19.8.1966 gegen Mitternacht zwischen Bundeskanzler Dr. Klaus und dem italien. Ministerpräsidenten Moro eine Geheimzusammenkunft stattgefunden hat. Dabei wurde hauptsächlich die Sache Südtirols besprochen und diese wieder benachteiligt. Um denen zu zeigen, dass ihr Vorhaben nicht widerspruchslos zur Kenntnis genommen wird, war anfänglich geplant, den Anschlag schon vor 24.00 Uhr durchzuführen.“ Aus Sicherheitsgründen habe man jedoch noch abgewartet, bis das Gewitter seinen Höhepunkt erreichte und so Gewähr gegeben war, dass es keine unschuldigen Opfer geben würde. Später behauptete Falk, einen diesbezüglichen Tipp von einem geheimnisvollen Unbekannten bekommen zu haben. Ein solcher Termin Klaus-Moro findet sich im Kalendarium des Südtirol-Konflikts nicht – auch dementierte ein Sprecher der italienischen Regierung Berichte, wonach geplant war, dass Moro in Kürze auf Ischia mit Außenminister Lujo Tončić-Sorinj (ÖVP) zusammentreffen würde.

Vieles blieb im Dunkeln
Es gab allerdings einen brisanten Termin, auf den sich der Anschlag vielleicht bezogen hat: Den Beginn einer geheimen Sicherheitskooperation zwischen Österreich und Italien. Am 16. August 1966 sprach der italienische Botschafter vor und unterbreitete namens der römischen Regierung den Vorschlag „einer Zusammenkunft leitender Sicherheitsfunktionäre“, die „möglichst bald“ stattfinden sollte. Das Innenministerium erklärte sich dazu bereit und die italienische Seite bekundete die Absicht, „einen Carabinierigeneral und einen Carabinierioberst“ zu entsenden. Die weiteren Details wurden aber erst in der Ministerratssitzung am 23. August 1966, drei Tage nach dem Anschlag, besprochen. Wie dem auch sei – die beiden Täter wurden des Verbrechens nach § 4 Sprengstoffgesetz schuldig befunden: K. wurde zu sechs Jahren und Falk zu sieben Jahren „schweren, verschärften Kerkers“ verurteilt. Ungereimtheiten blieben. So meinte der Privatbeteiligtenvertreter kurz vor Prozessende, es falle ihm schwer, „nur an die Schuld dieser beiden Angeklagten zu glauben. Er meinte, dass hinter dem Attentat ein größerer Personenkreis stehe. Beide Angeklagten seien hinterhältig und wollten nicht alles sagen.“

Hinweis: Anfang 2017 erscheint im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (JIPSS) eine Gesamtdarstellung der Frühphase von Rechtsterrorismus in Österreich.